Pro-pan-ganda.

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Die Afro-Amerikanerin Erykah Badu trägt ein buntes, indigen anmutendes Stirnband, um ihre vielen Haare zu bändigen, außerdem auffällige, aus größer werdenden Kreisen bestehende Ohrringe und einen Nasenring. Der Bildhintergrund ist orange-braun und mutet ebenfalls indigen an.
Erykah Badu in dem Interview.
Copyright: Fair use.

Erykah Badu zitiert in diesem kurzen Interview-Ausschnitt eine Philosophie, die besagt, dass 85 Prozent der Menschen auf dem Planeten Mitläufer [followers] sind. 10 Prozent der Menschen auf dem Planeten sind Kreative [creatives] oder Anführer [leaders]. Und 5 Prozent der Menschen sind Beobachter [observers]. Letztere werden oft entweder gleich ermordet oder anderweitig zum Schweigen gebracht, weil sie den 10 Prozent ihr Geschäftsmodell verhageln. Und das geht deswegen so einfach, weil die Leute geführt werden wollen.

Woher auch immer diese Philosophie stammt, wie zuverlässig auch immer die Informationen der Sängerin und Musikerin sind, intuitiv zumindest scheint diese Einschätzung leider sehr richtig.

Wer gelenkt wird, muss dieser Lenkung erstmal zustimmen — zumindest unbewusst, ja. Und laut Erykahs Zitat wollen die allermei­sten das auch. Allerdings sind die Lenkungsmethoden schon auch sehr perfide, siehe – als ein sehr deutliches Beispiel – Cambridge Analytica.

Wer die Wirkmacht von Propaganda in Bezug zur Formbarkeit von Menschen setzt, schiebt damit nicht die Verantwortung auf andere ab, sondern benennt die Komplexität zutreffender.

Die AfD ist nicht zuletzt so stark geworden, weil in Deutschland immer noch viele Menschen im Herzen Nazis sind. Trotzdem »hilft« es, dass externe Kräfte Zweifel säen mit Desinformation und Lügen.

Die riesige Ölplattform mit unzähligen stählernen Aufbauten auf vier gewaltigen, orangefarbenen Säulen liegt schräg im Meer.
Die sinkende Ölplattform Thunder Horse, 2005. Quelle: Wikimedia.

Und »externe Kräfte« kann zum Beispiel auch bedeuten: BP/Exxon/Shell, die seit den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts gezielt Fehlinformationen zum Einfluss von CO₂ auf das Klima verbreitet haben. Da gab es schon den Bericht an den Club of Rome, »Die Grenzen des Wachstums«, aber das war halt ein dickes Buch, anstrengend zu lesen. Da hat man lieber der Fossil-Propaganda geglaubt. Und bis heute hält diese Verbreitung von Falschinformationen an, wie dieser (englischsprachige) Kommentar im Magazin Salon belegt.

Ein Fazit könnte sein: Es braucht immer zwei – nämlich Akteure, die lenken, und Menschen, die sich lenken lassen. Er­stere sind aber allermei­stens in einer Machtposition, die sie für ihre Propaganda schamlos ausnutzen. Sie haben, ganz einfach gesagt, das Geld, »alternative Fakten« zu kaufen und zu verbreiten.

Für einen etwas positiveren Ausklang und als P.S.: Erykah hat im August 2018 einen der legendären npr-Tiny-Desk-Gigs performt. Sehr sehens- und hörenswert!

Mehr ≠ weniger!

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Es scheint ein allgemeines Missverständnis vorzuliegen. Anders sind gegenwärtige Trends nicht erklärbar.

So wissen immer mehr Menschen, dass der Ausstoß von CO₂ die Erdatmosphäre aufheizt und den pH-Wert der Ozeane verändert – kurz, das Klima kollabieren lässt. Und trotzdem kaufen immer mehr Menschen gewaltige SUVs, deren Umweltbilanz katastrophal ist.

Immer mehr Menschen wissen auch, dass Avocados eine ähnlich unterirdische Umweltbilanz haben. Und doch kaufen immer mehr Menschen immer mehr Avocados; verfünffacht habe sich der Import nach Deutschland, berichtet DER SPIEGEL.

Und noch so ein 180°-Phänomen: Immer mehr Menschen wissen, dass Fast Fashion ruinös ist für Umwelt und in der Branche Arbeitende, für die psychologische Beschaffenheit von Teenagern, aber auch Erwachsenen. Und doch wächst die Branche nahezu unaufhaltsam. Gerade hat HBO eine Dokumentation über die beliebte Modemarke Brandy Melville herausgebracht: A very odd and ugly worldview titelt der Guardian-Artikel.

Also, zurück zur Überschrift: Nein, liebe Mitmenschen, mehr ist nicht weniger! Es ist genau umgekehrt: Weniger ist mehr!

Keine Zeit!

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Ein Salá, wie im Text beschrieben und umgeben von vielen sattgrünen Pflanzen.
Ein Salá, allerdings mit einer aufwendigeren Dachkon­struktion als sonst üblich.
Eigenes Bild. Lizenz: CC BY-SA   

(Dieser Text ist am 7. November 2012 entstanden, unter dem schattenspendenden Bananenblätterdach eines Salá – einer einfachen Hütte mit einem Tischbrett in der Mitte, davor und dahinter sechs [oder mehr, je nachdem, wie gut man sich kennt] Plätzen auf zwei Sitzplanken – in einem kleinen Ort direkt an der Südostkü­ste Thailands.

Anders als sonst in diesem Blog üblich, ist er in der Ich-Perspektive geschrieben. Er ist nicht weitergehend bearbeitet, deswegen sind bei Zeitangaben gut zehn Jahre dazuzurechnen.)


Stilisiertes Zifferblatt einer Uhr.
Eigenes Bild. Lizenz: CC BY-SA   

Mir scheint, dies ist das zentrale Problem unsere(s Teils de)r Welt: Niemand nimmt sich mehr Zeit. Ja, da steht nimmt sich, weil ich fest daran glaube, dass es zum großen (größten!) Teil an uns liegt, wie wir unsere Zeit »managen«.

Die mei­sten wird es vielleicht überraschen, dass unser Zeitverständnis noch gar nicht besonders alt ist; vor etwas mehr als zwei Jahrhunderten lebten die Menschen in Europa noch ohne den ständigen Einfluss der von der Uhr gemessenen Zeit. Sehr interessant dazu ist ein Buch, das ich vor einer Weile gelesen habe: Edward P. Thompson, »Blauer Montag. Über Zeit und Arbeitsdisziplin«, mit einer Einführung von John Holloway; hier ein Ausschnitt aus der Verlagswerbung: Vor gut 200 Jahren wurde im Zuge der Indu­striellen Revolution in England die Zeit zur Uhr-Zeit. Gelebte, an der Natur gemessene Zeit wird zu mit Arbeit oder in Freizeit verbrachter Zeit, zu genutzter oder verschwendeter Zeit. Klingt vertraut, oder?

Ich schreibe dies aus einem Land, in dem die Uhr (immer noch) längst nicht den Einfluss hat, den sie bei uns beansprucht. Okay, das ist Asien, das ist weit weg, hier gehen die Uhren anders. Aber schon in Griechenland, gerade mal zweitausend Kilometer von Deutschland entfernt, halten die Menschen mitten auf der Straße ihre Autos an und beginnen eine Plauderei von Steuer zu Steuer, und bis hinter ihnen mal jemand zu hupen beginnt, vergeht eine ganze Weile. Warum auch? Selbst Deutschland verfügt eigentlich schon über das Handwerkszeug, zum Beispiel gibt es das Sprichwort nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Allein daran immer mal wieder zu denken, ist schon eine große Hilfe.

Denn neben Gesundheit ist Zeit das wichtig­ste, das wir besitzen. Kein iPad oder »Smart«phone, kein Fernseher, keine schicken Klamotten, kein Auto und keine schöne Wohnung können uns vor dem Vergehen der Zeit schützen, und in Wirklichkeit brauchen wir all das nicht. In Wirklichkeit werden wir, von Werbung, Sozialneid und Gier, dazu getrieben, unsere Zeit einzutauschen gegen Geld, und dieses Geld dann gegen Güter. Wer hat daran ein Interesse – außer denen, die diese Güter herstellen? In Wirklichkeit ist die Uhr das mächtig­ste Werkzeug der Kapitali­­st*innen, die sich immer ungehemmter, drei­ster und radikaler breitmachen in unserer Gesellschaft.

Thompson hat das schon vor 45 Jahren erkannt; hier noch ein Zitat dazu aus dem Klappentext: 1967 stellte E. P. Thompson in seinem Essay dar, dass die veränderte Auffassung der Zeit nicht nur ein Symptom des sich durchsetzenden Kapitalismus ist, sondern ein Schlüsselelement zum Verständnis der modernen Gesellschaft. Von der Organisation und Teilung der Arbeit bis zur durchgeplanten Freizeitgestaltung, alle Strukturen sind von Zeitmessern durchgetaktet. Mit dem Ziel, die Menschen zu unterwerfen, ihnen ihr einziges Gut zu nehmen, über das sie wirklich frei verfügen können, und dieses Gut zu ersetzen durch Tand, glitzernden Schrott, der nach zwei Jahren automatisch in sich zusammenfällt, damit neu gekauft werden muss.

Was können wir tun? Er­­stens vielleicht uns ein Beispiel nehmen an jener noch relativ jungen französischen Bewegung der Décroissance, die auch in der Schweiz immer mehr Anhänger findet und deren Motive simpel sind: Handy abschaffen, Fernseher abschaffen, Auto abschaffen, so wenig wie möglich Ressourcen verbrauchen, nur das Nötig­ste kaufen und so den Teufelskreis aus immer mehr Konsum → immer mehr Wirtschaftswachstum → immer mehr Umweltzerstörung → immer mehr psychologische Schäden → immer mehr Konsum … unterbrechen.

Zweitens können wir uns vielleicht verabschieden von der höchst albernen Vorstellung, eine Lohn-Anstellung könne Lebensinhalt sein oder Erfüllung bieten. Von der selbstzerstörerischen Illusion, wir würden »gebraucht« in »unserer« Firma. (Sobald deine Funktion überflüssig wird oder jemand jüngeres, frischeres, besser ausgebildetes kommt, wirst du entlassen werden.) Und von der Idee, Arbeit sei etwas ehrenvolles, bedeutendes, wichtiges. Lohnarbeit ist immer, ohne Ausnahme, das freiwillige Herausstrecken der Hände zum Anlegen der Handschellen, der freudige Verzicht auf Freiheit und die Überantwortung des Menschen in die Sklaverei. (Ich weiß, an dieser Stelle werden einige murren, aber ich meine es genau so. Jede heutige Firma, sei sie tausende von Mitarbeiter*innen stark oder ein Kleinstbetrieb mit drei Angestellten, muss sich dem kapitali­stischen Gedanken beugen, muss effizient und wachstumsorientiert agieren, muss also gegen grundsätzliche menschliche Interessen handeln. Mögen di*er Chef*in und die Kolleg*innen auch noch so nett sein.)

Die grüne Som-oh ist groß wie ein Kinderkopf und liegt auf einem grünen Sitzkissen mit geometrischem Muster, das wiederum auf einem dunkelbraunen Holzstuhl mit vielen Verzierungen liegt. Eine Brille ist ihr aufgesetzt, so dass sie fast wie ein Gesicht wirkt.
Eine brilletragende Som-oh, in westlichen Sprachen Pomelo.
Eigenes Bild. Lizenz: CC BY-SA   

Und drittens … drittens können wir vielleicht ab und zu einfach mal anhalten. Ein Detail am Straßenrand betrachten. Auf dem Weg von der Mittagspause in den Büchern eines Antiquariats blättern. Spontan einen Extra-Kaffee trinken. Überraschend jemanden besuchen. Heute mal früher Schluss machen (Kopfschmerzen vortäuschen) und ans Wasser fahren. Mit Bus und Bahn oder mit dem Fahrrad, versteht sich. Wasser, überhaupt: Am Wasser sitzen ist die be­ste Quelle für die Stärkung der Seele. Und faulenzen ist der be­ste Nutzen, den wir überhaupt ziehen können aus unserer Zeit.

Vielleicht darf ich noch eins hinzufügen: Ebenfalls eine Illusion ist der Gedanke, Wachstum sei unbegrenzt möglich. Dies ist nämlich der Kerngedanke des Kapitalismus, und wie schon sämtliche Naturwissenschaften erkannt haben (Energieerhaltungssatz), ist er schlicht falsch. Auch das ist aber längst bekannt: 1972, fünf Jahre nach der Erstausgabe von Thompsons Buch, erschien erstmals der Bericht an den Club of Rome mit dem Titel »Die Grenzen des Wachstums (The Limits to Growth)« – nur angesprochen fühlt sich bis heute kaum jemand. Dabei sind wir es alle. Jede*r einzelne in unserem Verhalten und Bewusstsein; dass uns die Politik mit augenwischerischen Maßnahmen wie Pfand, Recycling, Batterierückgabe, Wärmeschutzgesetzen und »Energiewende« (555¹) dabei nicht hilft, weil sie selbst komplett in die kapitali­stischen Strukturen verstrickt ist, sollte niemanden überraschen. Per Gesetz erzwungene Energiesparlampen mit umweltschädigendem Quecksilber oder E10, das wertvollen Boden für die Nahrungsgewinnung unnutzbar macht, sind nur zwei willkürlich ausgewählte aktuelle Beispiele.

¹ Im Thailändischen – das eine Tonsprache ist, in der also die Tonhöhe über die Bedeutung entscheidet – wird die Ziffer fünf wie ein stark betontes »Ha!« gesprochen. Deswegen wird in Thai-Chats oft mit drei Fünfen ein Lachen wiedergegeben.

Zahlen, bitte.

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Eine Person in Sandalen und knielanger weißer Hose, die nur bis zur Hüfte zu sehen ist, geht über eine Betonfläche, auf die mit weißer Farbe verschiedene Zahlen in Quadraten aufgemalt sind.
Bild: Markus Krisetya via Unsplash

In einem guten und lesenswerten aktuellen Interview in der ZEIT wird der Soziologe Linus Westheuser mit den Worten zitiert: Ein Bürgergeld, von dem man leben kann und das einen nicht zwingt, jeden Job annehmen zu müssen, verbessert die Verhandlungsposition der Arbeitenden, gerade in den unteren Einkommensgruppen. Es macht sie weniger erpressbar und zwingt die Arbeitgeber zu Kompromissen.

Wie wäre es denn statt »Bürgergeld« mit »Bedingungsloses Grundeinkommen« (BGE)?

Lässt sich nicht finanzieren?

Ha!

Wenn sämtliche rund rund 85 Millionen Einwohner*innen Deutschlands monatlich ein BGE von 1200 Euro bekämen, wären das im Jahr rund 1,2 Billionen.

Ähnlich viel, nämlich 1.161.499 Millionen Euro, zahlte der deutsche Staat im Jahr 2021 als Soziallei­stungen aus. Allerdings entfiel ein großer Teil davon auf den Bereich Krankheit, nämlich 395.290 Millionen. Diese rund 400 Milliarden fehlen also noch, um allen Einwohner*innen (einschließlich Babys, Kindern und Greis*innen, wohlgemerkt; jeder Person) ein Grundeinkommen bezahlen zu können.

Zusammen mit einer Reihe von Magazinen berichtete das ZDF im Dezember über eine Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit: »Deutschlands Milliardäre besitzen minde­stens 500 Milliarden Euro mehr als bisher angenommen.« Auch t-online war das eine Meldung wert: »Tatsächlich dürfte der Wert der deutschen Milliardenvermögen deshalb minde­stens etwa 1,4 Billionen Euro betragen – aber auch zwei Billionen erscheinen den Studienautoren nicht unplausibel.«

Eine Vermögen­steuer (die in Deutschland zuletzt 1997 eingenommen wurde) von 30 % auf die minde­stens 1,4 Billionen, über die schon allein die deutschen Milliardär*innen verfügen, könnte sich auf minde­stens 420 Milliarden summieren.

Et voilà.

Und da sind sämtliche Ideen anderer, viel klügerer Menschen noch gar nicht enthalten, wie die »negative Einkommen­steuer« oder Götz Werners Idee der Konsumbesteuerung.

tl;dr

Das Bedingungslose Grundeinkommen ist problemlos finanzierbar.


Abschließend sei hier zur besseren Veranschaulichung noch auf eine faszinierende Darstellung der Vermögensverhältnisse am Beispiel der USA hingewiesen, durchaus auf deutsche Verhältnisse übertragbar.

99 …

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Photo einer Ladenfassade im kalifornischen Jacksonville mit einem Schild, auf dem zu lesen ist: »Smithfield Fresh Pork Sausage, Pound 99 ¢«.
Bild: John Margolies via Library of Congress (gemeinfrei).

a)  
b)  
c)  

Auswertung

a) Stimmt schon, das ist einer der wenigen deutschen Popsongs, die wirklich international Wellen geschlagen haben.
War aber nicht gemeint.

b) Ist es nicht zu und zu seltsam, dass das menschliche Gehirn denkt, dass 0,99 signifikant weniger sei als 1,00 – ob Euro, Dollar oder Kilogramm?
Aber auch das war nicht gemeint.

Die richtige Antwort lautet:
c) — »Wir sind die 99 Prozent!«

Jede einzelne von uns hat es mit Entscheidungen, Äußerungen, Handlungen, Verweigerungen und vielem mehr in der Hand, die Geschicke der Welt – oder minde­stens des Landes, oder der Stadt, des Dorfes, der Nachbarschaft – zu beeinflussen und damit zu steuern.

Jede einzelne von uns gestaltet Politik bei den Wahlen, Wirtschaft mit Konsumverweigerung, Miteinander durch Kommunikation.

Jedes scheinbar noch so kleine Tun oder Lassen, Sagen oder Schweigen hat Auswirkungen.

Und zwar nicht im Sinne des »CO₂-Fußabdrucks«, dieses vom Öl-Multi BP massiv beworbenen und schon allein daher stark kritisierten, aber auch objektiv viel zu schwammigen Konzepts, mit dem Konzerne immer wieder versuchen, die Verantwortung für Umweltschäden von sich selbst auf die Verbraucher abzuwälzen.

Sondern im Sinne einer Wirkmächtigkeit, die jede einzelne von uns hat. Wer’s lieber neudeutsch hat: Es geht um Empowerment. Du kannst, ich kann, und zusammen können wir erst recht.

Und hier noch, nur am Rande zum Thema passend, eine umwerfende, zugleich faszinierende und erschreckende graphische Umsetzung der Wohlstandsverhältnisse auf der Welt, oder anders gesagt: dessen, was alles wir mit dem obszönen Reichtum des einen Prozents anstellen könnten (Spoiler: den größten Teil sämtlicher Probleme lösen): Wealth, shown to scale von Mark Korostoff. Viel Vergnügen beim Scrollen …

Du Arme*r?

4 Minuten Lesedauer
Ein Einzelbild aus einem Little-Nemo-Comic von Winsor McCay; der kleine Nemo ist offensichtlich gerade aus dem Bett gefallen. Er liegt auf seinen Schultern, seine Beine ragen nach oben, sein Gesichtsausdruck ist erschrocken. Die Zeichnung ist einfach, aber trotzdem sehr künstlerisch.
Bild: Winsor McCay via Wikipedia (gemeinfrei).

Alle Morgen wieder – aufwachen wie Winsor McCays Little Nemo; alle Morgen wieder – die Gedanken noch zerknautschter als das Kissen, noch zerzauselter als das Haupthaar; alle Morgen wieder – im Hinterkopf das nagende Halbbewusstsein: Das wird anstrengend heute, wie ge­stern auch schon, wie morgen auch wieder, wie immer.

Kein guter Tagesbeginn, stimmt’s?

Aber wenn auch vielleicht ein kleines bisschen übertrieben, ist es doch ungefähr das, was viele Menschen im wohlhabenden We­sten empfinden. Tag für Tag.

Nicht die tatsächlich Wohlhabenden natürlich, die es sich im mittleren und gehobenen Management, an der Firmenspitze oder gleich in der geerbten Villa gemütlich gemacht haben. Aber doch all die Millionen, die from paycheck to paycheck leben, wie es auf Englisch heißt, oder von der Hand in den Mund.

Eine Person ist von hinten zu sehen. Sie trägt einen Rucksack und Pla­stiktüten und geht allein durchs nächtliche Düsseldorf.
Bild: AR via Unsplash.

Jetzt schätzen Sie mal: Wie viele sind das wohl so, hier, im reichen Deutschland?

Na?

 
 
 

Im Jahr 2022 waren laut Erstergebnissen des Mikrozensus insgesamt 20,9 Prozent der Bevölkerung in Deutschland von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen, heißt es auf der Website von Statista.

20,9 %.

Ein Fünftel aller Deutschen, jede fünfte Person.

Zählen Sie mal durch im Supermarkt. Eins, zwei, drei, vier – und stop, diese Person ist arm, armutsgefährdet oder sozial ausgegrenzt, muss sich also überlegen, ob sie sich tatsächlich heute frisches Gemüse lei­sten kann, oder ob nicht der Rest Toastbrot auch irgendwie reicht.

Und weiter; sechs, sieben, acht, neun – da ist wieder eine. Auch dieses menschliche Wesen muss auf Teile seiner Menschenwürde verzichten, einfach nur deshalb, weil es mit dem Wohlstand der anderen nicht mithalten kann, aus welchen Gründen auch immer.

Bei Kindern und Jugendlichen müssen Sie übrigens nur bis vier zählen; von ihnen sind fast 25 % arm(utsgefährdet). Relativ gering ist der Unterschied zwischen Männern (20,1 %) und Frauen (21,6 %).

Noch zwei letzte Zahlen: Im vergangenen Jahr hatte Deutschland rund 84,5 Millionen Einwohner. Ein Fünftel davon sind 16,9 Millionen.

Eine Frau ist von der Seite zu sehen. Sie sieht nach unten und ihre Haare fallen ins Gesicht, so dass sie nicht zu erkennen ist. Die Szenerie ist dunkel und einsam.
Bild: Eric Ward via Unsplash.

Gut, dass im WERNERPRISE°-Blog (so gut wie) keine Schimpfwörter und Kraftausdrücke verwendet werden, sonst stünde hier gleich eine ganze Reihe von ihnen; viele direkt an den amtierenden Finanzmini­ster Christian Lindner gerichtet, der sich eines geschätzten Vermögens von 5,5 Millionen Euro und dazu eines monatlichen Mini­stergehalts von 20 000 Euro erfreut und allein im Jahr 2021 beim Finanzamt außerdem zusätzliche Nebeneinkünfte von 472 000 Euro angemeldet hat.

Wie heißt das Sprichwort doch so schön: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.

Kein Wunder, dass so jemand das Elterngeld kürzen will, die Zuschüsse zur gesetzlichen Renten- und Pflegeversicherung und auch die Mittel der Bundeszentrale für politische Bildung – aber weiterhin rund 65 Milliarden Euro pro Jahr für umwelt- und klimaschädliche Subventionen freigibt, wie das ZDF berichtete.

Kein Wunder auch, dass so jemand sich im staatsgläubigen Deutschland nicht wohl fühlt, wie er sich bei einer Rede vor dem In­stitut für Schweizer Wirtschaftspolitik beklagte. In Richtung seiner Gastgeber sagte der Multimillionär: (…) nachdem die politischen Realitäten mich zwingen, mit Sozialdemokraten und Grünen zu regieren, freue ich mich, die Luft der Freiheit zu atmen.

Ach wissen Sie, Herr Lindner, Sie sind herzlich eingeladen, in der so freiheitlichen Schweiz Ihr Domizil aufzuschlagen. Wir werden Sie hier nicht vermissen.

Zum Ausklang noch ein Link zur er­sten »Late Night« von Sarah Bosetti am 22.10., in der es ebenfalls um das Thema Armut ging. Besonders bemerkenswert war der Auftritt der #TaxMeNow-Mitbegründerin und Millionärin Marlene Engelhorn, die überzeugend darlegte, warum Spenden und andere Benefit-Aktionen seitens der Reichen keine Alternative zu öffentlichen Mitteln sind (weil sie der Willkür Tür und Tor öffnen) und warum sie will, dass sie und ihresgleichen endlich angemessen besteuert werden.

Bitte gucken. Die Aufzeichnung steht in der 3sat-Mediathek.

Letztes Jahr demon­strierten Engelhorn und ihre Mitstreiter beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Auch das liegt in der Schweiz. Na, Herr Lindner, nicht doch lieber ein Häuschen dort statt im undankbaren Deutschland?

 

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