Es gibt Momente von so großer Traurigkeit, dass Worte sie kaum noch zu erfassen schaffen. Manchmal auch gar nicht; manchmal macht Trauer sprachlos. Vielleicht ist das einer der Hauptgründe, warum Menschen Musik erfunden haben? Als Kunst, die imstande ist, jenseits des Verstehens in die tiefsten Bereiche unserer Gefühle zu tauchen. Und uns damit zu bestätigen: Wie unendlich dir deine Traurigkeit jetzt auch vorkommen mag – du bist doch nicht allein in ihr, nicht darin verloren.
Eines jener Stücke, die diese Hoffnung in der aller-, und wirklich: aller!tiefsten Trauer auszudrücken vermögen, ist dieses hier:
Samuel Barber: »Adagio for Strings« op. 11
Vor fast zwanzig Jahren von BBC-Hörern zur traurigsten Musik der Welt
gewählt, entstand das Adagio ursprünglich 1935/36 – Barber war 25, 26 Jahre alt – als Teil des »Streichquartetts Op. 11«, bevor er Ende 1936 eine Orchesterversion arrangierte. Diese führte 1938 der berühmte Dirigent Arturo Toscanini mit dem NBC Symphony Orchestra für eine Radioübertragung auf; 1940 gingen er und das Orchester damit auf Südamerika-Tour.
Das Stück ist das mit Abstand bekannteste von Samuel Osmond Barber II, und es existieren unzählige Versionen.
Hier einige zur Auswahl:
- Die originale Quartett-Version, gespielt vom Dover Quartet.
- Eine zweite Aufnahme in derselben Besetzung, die überraschend anders klingt.
- Gespielt von den Wiener Philharmonikern, Dirigent Gustavo Dudamel.
- Gespielt von der Deutschen Radio Philharmonie, Dirigent Pablo González. (Bei diesem Link ist es vielleicht besser, den begleitenden Artikel höchstens flüchtig zu überlesen …)
- Und hier noch eine Version ohne Angabe von Orchester oder Dirigent*in, aber musikalisch besonders schön.
Barber selbst hat das Adagio 1967 auch für Chor arrangiert, mit dem Text des »Agnus Dei« (»Lamm Gottes«) aus der katholischen Liturgie. Hier zwei schöne Aufnahmen dieser Fassung, eine von
× The Choir of Trinity College, Leitung Richard Marlow,
und die andere vom
× Vlaams Radiokoor, Leitung Marcus Creed.
Der Text lautet:
‘Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis.
Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem.¹
Lamm Gottes, das du die Sünden der Welt fortnimmst, sei uns gnädig. Lamm Gottes, das du die Sünden der Welt fortnimmst, gib uns Frieden.
Anmerkung: WERNERPRISE° ist der Impuls, zu einer höheren Instanz (in diesem Fall Jesus, für den das »Lamm Gottes« stellvertretend steht) zu beten, vollkommen fremd. Weder aber macht das die Musik weniger schön, noch tut es der lautmalerischen Schönheit der Zeilen und der Inbrunst² der Sänger Abbruch.
Nicht mal ansatzweise so traurig, aber trotzdem ein musikalischer Verwandter von Barbers »Adagio for Strings« ist übrigens »Nimrod« von Edward Elgar aus den »Enigma Variations« op. 36, hier gespielt vom WDR Funkhausorchester und dirigiert von Helmuth Froschauer.
¹ Schrift: Aquiline Two von Manfred Klein.
² [Note to self: »Inbrunst« Kandidat fürs Wortmuseum?]