Never confuse faith, or belief – of any kind – with something even remotely intellectual.

John Irving, A Prayer for Owen Meany (1989)

Und er so *freu*.

6 Minuten Lesedauer
Detail-Ansicht der Bronzeplastik von Karl Valentin beim nach ihm benannten Brunnen am Münchner Viktualienmarkt. Das Metall der Statue ist dunkelgrün, in den rechten Arm der Figur hat jemand eine frische, leuchtend gelbe Sonnenblume gelegt.
Karl-Valentin-Brunnen, München
Bild: Amrei-Marie via Wikipedia
Lizenz: CC BY-SA   

Vieles, was auf vielen Coaching-Websites, in vielen, vielen Selbsterfahrungs-Posts auf Social Media und bei vielen Selbst­opti­mie­rungs-Kursen als heilend angeboten wird, ist grober Unfug. Dem Universum ist es egal, was wir uns von ihm wünschen, Engel sind (ähnlich wie wir Menschen) hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt, und positives Denken kann sogar negative Folgen haben.

Das heißt aber nicht, dass ein bodenständiger, realitätsverhafteter Ansatz zur psychischen Selbstju­stierung keine gute Idee wäre.

Karl Valentin zum Beispiel, Komiker aus Bayern in der er­sten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, sagte einmal:

Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.

Das ist doch mal eine ausgesprochen gesunde Einstellung, mit den Unbilden und Widerbor­stigkeiten des Lebens umzugehen. Geht ein bisschen in die Richtung des bekannten »Gelassenheitsgebets«, das hier aus athei­stischen Erwägungen leicht gekürzt wiedergegeben werden soll: Es geht darin um die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Alte Diagrammzeichnung eines Gesichts mit Gehirnregionen. Zahlreiche englische Begriffe sind darauf eingetragen, wie zum Beispiel »Intellect«, »Affection«, »Volition« oder auch »Truth« und viele andere.
Bild: Alesha Sivartha (Pseudonym von Arthur Merton) via Internet Archive (gemeinfrei).

Natürlich ist es außerdem völlig okay, die eigenen Werte, Selbstbilder und Stolperfallen immer wieder zu hinterfragen und sie durch hilfreichere Erkenntnisse zu ersetzen; auch mit fremder Hilfe. Der Unterschied zu den im er­sten Absatz erwähnten Dingen ist, dass der Ansatz »ich betrachte mich und lerne, mich zu verändern« psychologisch ist; therapeutisch, nicht transzendental. Erprobt, nicht erhofft. Wissenschaftlich, nicht wundergläubig.

Das heißt ganz und gar nicht, dass nicht auch Therapien und Therapeut*innen fehlerbehaftet sein können, wohlgemerkt! Immerhin ist der Begriff »Therapeut*in« gesetzlich nicht geschützt und daher kein Hinweis auf ein erfolgreich abgeschlossenes Studium oder auch nur fachliche Kompetenz, wie die Wikipedia schreibt.

Aber viele, wenn nicht sogar die mei­sten Psychotherapeut*innen (das wiederum ist eine geschützte Berufsbezeichnung, die eine fundierte Ausbildung voraussetzt und verschiedenen Zulassungsverfahren unterliegt) tun ihre Arbeit auf der Basis nachvollziehbarer, wiederholbarer, stati­stisch erfassbarer – kurz: wissenschaftlicher Methoden.

Detail-Ansicht eines alten medizinischen Gesichts- und Gehirnmodells. Die Augen sind geschlossen, die Schädeldecke ist aufgeschnitten. Auf das Gesicht geschrieben stehen verschiedene Begriffe wie »Ortsinn«, »Umfang«, »Individualität« oder auch »Sprache«
Bild: David Matos via Unsplash.

Und sie sind eingebettet in einen größeren wissenschaftlichen Kontext; Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung, Neurologie, Biochemie und vielem mehr tragen zum Gesamtbild der menschlichen Psyche und Beschaffenheit bei.

Wenn aber Rhonda Byrne, millionenschwere Autorin des Weltbestsellers The Secret, po­stuliert: Thoughts are more powerful than actions, dann ist das natürlich schlicht riesengroßer Quatsch. Frau Byrne hat sich mehrere goldene Nasen verdient mit dem simplen Versprechen, dass sich Glück, Erfolg, perfekte Beziehungen und dergleichen mehr einfach per Gedankenkraft manife­stieren lassen. Das glauben Menschen natürlich gern.

Jessica Wildfire hat kürzlich darüber geschrieben, was besagtes Buch mit der westlichen Zivilisation angestellt hat (Spoiler: nichts Gutes) und in einem anderen Artikel darauf verwiesen, welches Elend die Idee des »positiven Denkens« in den USA anrichtet (Spoiler: großes).

Beide Texte sind englisch, aber es ist kein übermäßig schwieriges Englisch, und Jessica Wildfire und ihr Blog OK Doomer sind absolut lesenswert – hilfreich kann es sein, bei Unklarheiten die gut trainierte Übersetzungsmaschine DeepL zu Rate zu ziehen. Das ist sehr einfach: Den fraglichen Textblock kopieren, in das linke DeepL-Fen­ster einkopieren, dann rechts die gewünschte Sprache auswählen.

Zurück zum Thema: Dass die »Behandlung« persönlicher, psychischer Probleme mit »Eso-Methoden« für die Betroffenen meist nur scheinbare Besserung bringt, ist schlimm genug – minde­stens ebenso bedenklich ist aber, dass hinter all dem weichgespülten, sanften »Lebenshilfe-Speak« eine milliardenschwere Indu­strie steht. Die er­stens mit menschlicher Verzweiflung gigantische Umsätze erzielt und zweitens Betroffene oft in sektenartige Abhängigkeit führt.

Hier einige Dokumentationen und Reportagen zu dem Thema [Längen in Klammern]:

Photo von »magischen« Gegenständen; Graphiken, ein Knochen, alchemistische Gefäße und ähnliche.
Bild: Asia Lascioli via Unsplash.

Auch in der Politik und im gesellschaftlichen Leben hinterlässt Esoterik mehr und mehr Spuren; schon während der COVID-Maßnahmen zeigte sich, dass Spiritualität sich oft erschreckend dicht in der Nähe von Verschwörungsideologien und rechtsradikalen Strömungen aufhält. (Was vielleicht auch daran liegt, dass Esoterik in der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs eine philosophische Lehre ist, wie die Wikipedia schreibt, die nur für einen begrenzten ›inneren‹ Personenkreis zugänglich ist, im Gegensatz zu Exoterik als allgemein zugänglichem Wissen. Daher das Gefühl von Erwähltheit und Überlegenheit vieler esoterisch bewegter Menschen.)

In diesem Frühjahr sprach Alrun Schleiff von der Heinrich Böll Stiftung mit der Autorin Pia Lamberty darüber.

Ach, und falls Sie lieber, statt sich über den Regen zu freuen, wissen wollen, wie Sie ihr Leben am be­sten gestalten, dann bitten Sie doch Hildegard Matheika, für Sie eine Palmblatt-Lesung durchzuführen: Die Palmblatt-Bibliotheken wurden vor ca. 5000 v. Chr., von Rishis geschrieben, Menschen, die die Fähigkeiten hatten in die Akasha-Chronik zu gehen, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschmelzen. Und wenn’s dabei ziept: Frau Matheika macht auch Reiki. Und Energieübertragung. Und Rückführung, Reinkarnations»therapie«. Und nimmt Kontakt zum Jenseits auf. Und liest Karten. Und Hände. Auch telephonisch. Oder per Videocall.

Namaste.

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