Unsmart.

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Schwarz-weiß-Photo eines zerbrochenen Smartphones mit der Azeige »ERROR 404«, einer typischen Internet-Fehlermeldung für nicht erreichbare Inhalte.
Bild: Kostiantyn Li via Unsplash.

Dieses Blog vermeidet die Ich-Perspektive, denn die mei­sten der hier behandelten Themen sind von allgemeinem Interesse. Naja, hoffentlich zumindest. Aber in diesem Fall gehe ich zum »Ich« über, denn mein Verhältnis zu modernen Mobiltelephonen ist ausgesprochen un-allgemein.

Ich habe nämlich keins.

Nie eins gehabt.

Na gut, abgesehen vom Handspring Treo 180g vor fast zwanzig Jahren (damals noch Early Adopter), das inzwischen einen Platz im Museum hat. Und nach heutigen Maßstäben sicher nicht als »Smart«phone durchgehen würde.

Das »Smarte« an den seit 2007 (mit der Einführung des iPhones) wie eine Tsunamiwelle die Welt überschwemmenden Phones ist, dass sie alles können (oder wenig­stens behaupten, alles zu können), dafür aber leider auch alles wollen. Beispiele sind:

Daten sind auf Handys nicht sicher. Zumindest nicht in der Grundeinstellung. Und die sehr unvollständige Li­ste oben zeigt, dass es viel zu bedenken gäbe, um das Gerät auch nur halbwegs datensicher zu bekommen. So viel, dass es wohl als zweifelsfrei gelten darf, dass sich die mei­sten Menschen nur eines kleinen Teils der nötigen Maßnahmen bewusst sind. Beispielhaft sei daran erinnert, wie vor zehn Jahren eine Taschenlampen-App für Android Daten sammelte und verkaufte.

Eine Taschenlampe. 🔦

Sehr buntes Photo aus dem Inneren eines Süßwarengeschäfts; von der Decke hängen riesige Lollys, in Regalen sind kleine Süßigkeiten aufgehäuft. Vorherrschender Farbton ist Rosa.
Bild: Iwona Castiello d’Antonio via Unsplash.

Zu den Sicherheitsbedenken kommt aber noch ein weiterer Faktor: Handys sind süchtigmachende Verführer. Die massiv die Psyche ihrer Nutzer*innen manipulieren. Dazu hatte ich neulich schon den Beitrag Außen hui. gepo­stet, deswegen werde ich mich hier nicht wiederholen.

Mein Fazit: Ein Leben ohne Handy ist möglich. Und es ist deutlich stressfreier als eines mit.

Allerdings muss ich zugeben, dass es an manchen Stellen manchmal ein bisschen hakt – zum Beispiel bei der Zwei-Faktor-Authentifizierung (2FA). Die nämlich in den allermei­sten Fällen ein Mobilgerät selbstverständlich voraussetzt.

Wer 2FA einsetzen will oder sogar muss (bei PayPal zum Beispiel geht es nicht mehr anders) und kein Smartphone besitzt, muss je nach Anbieter verschiedene Software- oder sogar Hardware-Lösungen einsetzen. Das Worst-case-Scenario kann sein, dass für fünf verschiedene mit 2FA abgesicherte Services auch fünf verschiedene USB-Keys angeschafft werden müssen.

Aber: Es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel, wenn Google (oder Apple) weiß, was ich letzten Sommer getan habe. Und wo. Und mit wem. Und wie lange. Und wie es mir gefallen hat. Und deswegen weiß, was ich näch­ste Woche tun werde. Und wo. Und mit wem. Und wie lange. Und wie es mir gefallen wird.

(Nein, das ist leider keine Science-Fiction. Hier ein kurzes Video des Wall Street Journals von 2015. Und in acht Jahren hat sich erwartungsgemäß viel getan.)

Mit herzlichen Grüßen aus der Zukunft verbleibe ich auch weiterhin,
Thomas Werner, handylos.

Künstlich ja, Intelligenz nein.

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Diesmal steht hier nur ein ganz kurzer Text, da auf etwas verlinkt wird, das viel besser, viel unterhaltsamer und vor allem viel fundierter erklärt, wie ChatGPT und andere KI-Anwendungen funktionieren – und welchen Nutzen und welche Grenzen die LLMs zum Beispiel im Journalismus haben.

Eva Wolfangel hielt vor einer Woche einen Vortrag bei einer Veranstaltung der saarländischen Landeszentrale für politische Bildung zusammen mit dem Verein Algoright e.V., der Landesmedienanstalt des Saarlandes und des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz.

Die er­ste knappe Viertelstunde ist recht langatmig, hauptsächlich werden alle Beteiligten an der Veranstaltung gelobt und Eva Wolfangel wird vorgestellt, deswegen steigt dieser Link erst bei 14:43 ein.

Und ja, die Überschrift hier oben erklärt sich sehr schnell beim Angucken.

P.S.: Eva Wolfangel selbst gesteht übrigens auf Ma­stodon, dass, wenn sie eigene Interviews auf doppelter Geschwindigkeit abspielt, man fast alle anderen Menschen gut anhören kann auf diese Weise – nur ich spreche eigentlich wirklich zu schnell dafür.

Außen hui.

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Person, die sich selbst im Smartphone betrachtet. Das Gesicht ist allerdings nicht zu erkennen, weil mitten auf dem Smartphone-Bildschirm ein großes Kamera-Objektiv angebracht ist.
Bild: Aaron Weiss via Unsplash.

Es ist wahr, Menschen hatten schon immer das Bedürfnis, sich nach außen besser darzustellen, als es im Innern tatsächlich aussah. Was sollen denn die Nachbarn denken ist einer der vielen Klassiker aus der vordigitalen Zeit, zusammen mit Sonntagsgarderobe, Zehn Schmink-Tips, mit denen du jeden Boy rumkriegst und Männer weinen nicht.

Und es stimmt natürlich nicht, dass ganz plötzlich um 2007 herum Millionen Menschen zu Digitalnarzissten wurden, nur weil sie dank Steve Jobs und Mark Zuckerberg auf einmal in der Lage waren, ihre Selfies zu veritablen Hochglanz-Photos zurechtzufiltern und mit dem gesamten Universum zu teilen (oder immerhin den vierzehn Followern aus der Wilhelm-Raabe-Schule Lüneburg).

Aber was sicherlich zutrifft: Seither ist die Selbstdarstellung von Privatpersonen auf VIP-Maßstäbe angewachsen.

Eine Hand hält ein weißes Smartphone mit weißem Bildschirm, daneben eine weiße Tasse mit braunem Cappuccino, alles sehr schick.
Bild: Marianne Krohn via Unsplash.

Als hätten alle einen Schnellkurs zum Thema Sei deine eigene Marke belegt, werden selbst Katzenvideos, Urlaubsphotos und Kochrezepte als Personal Branding behandelt wie umsatzsteigernde Unternehmenskommunikation.

Auch wenn die wenigsten Menschen wohl tatsächlich Influencer, Vlogger, YouTuber werden wollen, ist doch das Bestreben, immer im besten Licht dazustehen, nicht nur auf die im ersten Absatz erwähnten menschlichen Eigenschaften zurückzuführen. Sondern auf das relative neue Phänomen der Instagramisierung, oder auf Englisch Instagramification – was fast noch schöner ist, denn darin steckt auch ein Wortspiel mit Instant Gratification, dem Prinzip der Sofort-Belohnung aus der Psychologie.

Das Problem ist bloß: Instant Gratification funktioniert nur bedingt – und macht schnell süchtig.

Denn Social Media erfüllen nur scheinbar ein Bedürfnis. Das Bedürfnis, geliebt, oder zumindest gemocht, oder wenigstens gehört oder gesehen zu werden. Und zunächst fühlt es sich ja auch irgendwie total gut an, wenn sich Likes, Herzchen, Sternchen, Daumen und »Geteilt«-Zähler unter dem Beitrag ansammeln.

Aber dann … dann kommt uns unsere Hirnchemie in die Quere.

Jedes positive Signal, jedes ❤️, jedes 🔥, 😍, 👍, 💯 und 🤗 ist wie eine kleine Umarmung. Der Dopaminspiegel steigt.

Und je länger wir uns dem aussetzen, je länger andauernd der Dopaminspiegel hochgeregelt wird, desto mehr stellt sich unser Gehirn um. So dass das »High« schließlich zum »neuen Normal« wird. Und das »alte Normal« zu Depressionen führt. In dieser Hinsicht wirkt sich die Nutzung von Social Media auf unser Gehirn ganz genau so aus wie Drogenkonsum, von Alkohol über Marihuana, MDMA und Kokain bis Heroin.

Die Psychiatrie-Professorin Anna Lembke aus Stanford erklärt das in zwei gleichermaßen informativen wie unterhaltsamen Videos sehr viel besser und detaillierter, allerdings auf Englisch:

  1. In einem Video-Interview¹ mit the weekend UNIVERSITY, und
  2. bei einem Vortrag² für die Standford Alumni.
Mehrere Geschäftsmänner in Anzügen, jeder mit einem Smartphone in der Hand, alle offensichtlich sehr mit den Geräten beschäftigt.
Bild: Camilo Jimenez via Unsplash.

Auf der Website der österreichischen Fake-News-Wächter Mimikama (offiziell: Verein mit dem Ziel der Aufklärung über Internetmissbrauch) ist aktuell ein Beitrag zu dem Thema erschienen, in der es heißt: Ohne es zu merken, sind wir in ständiger Alarmbereitschaft, immer auf der Suche nach der nächsten Information, dem nächsten Like, der nächsten Nachricht.

Wie Heroinsüchtige auf der Jagd nach dem nächsten Schuss.

Hinzu kommt die Art, wie die allermeisten Menschen ihre Insta-, TikTok-, Snapchat-, Facebook- (die älteren), Twitter- (die unbeirrbaren) und was sonst noch alles für Kanäle nutzen: Mit dem Smartphone. Das oft, meistens sogar, ausgesprochen handschmeichlerisch gestaltet ist. Berührung ist eine der wichtigsten beziehungsbildenden Maßnahmen, wir streicheln, was oder wen wir gern mögen, und umgekehrt mögen wir gern, was oder wen wir ständig streicheln.

Erst recht, wenn er, sie oder es reagiert – und das tun Smartphones mit einer leichten Vibration, wenn sie betastet werden. Ein kleines digitales Wesen (wer erinnert sich noch ans elendige Tamagotchi?) in der Hosen-, Jacken- oder Handtasche, meistens aber in der Hand; über zweieinhalbtausend mal berühren Menschen ihr Phone täglich, zeigten im vergangenen Jahr Studien aus den USA und Belgien.

Eine aktuelle Untersuchung aus den USA hat ergeben, dass Amerikaner derzeit rund viereinhalb Stunden täglich dem Handy widmen. Vor zwei Jahren waren es unter Deutschen immerhin auch schon fast dreieinhalb, und noch ein Jahr früher meldete ZDNet: 89 % der Deutschen besitzen ein Smartphone, 94 % von ihnen verwenden es täglich – und 31 % verspüren sogar einen Zwang, ständig auf ihr Smartphone zu schauen.

Weil ihr Belohnungssystem rebelliert und Dopamin-Nachschub fordert.

Weil sie hoffen, dass jemand oder etwas ihnen gerade ein bisschen Liebe, oder zumindest Zuneigung, oder wenigstens Anerkennung geschickt hat.

Immerhin, der Anteil jener Konsumenten, die den Umfang ihrer Smartphone-Nutzung kritisch sehen, ist deutlich gestiegen, heißt es weiter in der damaligen ZDNet-Meldung. Und zunehmend werden negative Begleiterscheinungen wahrgenommen, von Unkonzentriertheit über spätes Einschlafen bis hin zu Kopfschmerzen.

Aber ganz ehrlich: Momentan sieht es noch nicht so aus, als wollten die Betroffenen groß etwas ändern. Und das, obwohl die ständige Bewertung durch andere und der Vergleich mit dem scheinbar perfekten Leben anderer zu erhöhtem Stress führen kann, wie es in dem oben erwähnten Mimikama-Artikel heißt.

Vielleicht sollten sie sich klar machen, was Professor Andrew Lepp schon 2016 herausgefunden hat: Smartphone-Nutzung [ist] schlecht für die emotionale Nähe.

Lepp erwähnt ein Phänomen, was Wissenschaftler neuerdings problematische Handy-Nutzung nennen. Leute mit solch einer problematischen Nutzung sind jene, die das Handy in Situationen benutzen, in denen man das eigentlich nicht tun sollte. Sie verspüren einen Zwang, das Handy zu nutzen, das ist fast schon Suchtverhalten. Seine Untersuchung hat festgestellt: Und diese Art der Nutzung hat einen negativen Zusammenhang mit dem Gefühl der emotionalen Nähe.

Menschen, die einen Hang hatten, das Handy problematisch zu nutzen, die fühlten sich auch nicht vertraut mit Eltern oder Freunden.

Zwei Bisons inmitten von Autos auf einer Straße, die Köpfe kampfbereit gegeneinander gesenkt.
Bild: Goutham Ganesh Sivanandam via Unsplash.

Je mehr Menschen zu dieser problematischen Nutzung neigen (und, siehe oben, das scheint offensichtlich zuzunehmen), desto schwieriger wird es also mit dem Miteinander.

Gut möglich, dass aus dem Gemenge aus Sucht, Selbstfixierung und Abkehr vom gemeinsamen Austausch das geworden ist, was wir inzwischen als eine deutliche Verhärtung der Fronten zwischen Menschen erleben, als ein Entweder bist du für mich, oder du bist gegen mich! Dazwischen gibt’s keine Grautöne mehr! Das war hier ja neulich schon mal Thema.

Vielleicht ist es jetzt – ja, in genau diesem Moment! – an der Zeit, das Smartphone wegzulegen und dem Rat des Professors zu folgen, guck den wichtigen Menschen in deinem Leben in die Augen, sprich mit ihnen ohne Bildschirm zwischen euch.

Oder sich eine Stunde Zeit zu nehmen und in aller Ruhe der Professorin für Religionswissenschaft Anne Koch und Wilhelm Schmid, »Philosoph der Lebenskunst«, zuzuhören, die im SRF mit Ahmad Milad Karimi über Berührungen im Alltäglichen wie auch im Metaphysischen sprechen. Schmid zum Beispiel sagt: Das körperliche Sein erfahre ich am instensivsten durch Berührung.

Zwischen Menschen, wohlgemerkt.

¹ ² Beide Videos stammen von YouTube, werden hier aber über Invidious mit dem URL-Parameter local=true verlinkt, was bedeutet, dass Google und YouTube Sie nicht tracken können.
Da YouTube häufig versucht, Invidious zu blockieren, funktionieren die Links manchmal nicht; dann können Sie eine andere Invidious-Instanz versuchen (für das erste Video hier: redirect.invidious.io/watch?v=t4iGCgIB0bg&local=true, für das zweite hier: redirect.invidious.io/watch?v=n2u8Z1HeKD8&local=true.

Lass das doch die KI machen.

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Alte Abbildungen der Webmaschine Power Loom in Meyers Konversationslexikon.
Abbildung: Webautomat »Power Loom«, Wikipedia (gemeinfrei).

Während der vergangenen anderthalb bis zwei Jahrhunderte der Industriellen Revolution – einer der größten Umwälzungen in der Menschheitsgeschichte – mussten immer wieder ganze Berufsstände um ihre Existenz bangen.

Als die Webmaschinen eingeführt wurden, waren die Handweber*innen betroffen, die Spinnmaschinen machten die Spinner*innen überflüssig.

Am wenigsten beschwert haben werden sich die Pferde über die Einführung des Automobils, aber mit der Entwicklung von Robotern ging es auch Fabrikarbeitern an den Kragen.

»White-Collar-Jobs« allerdings, intellektuelle und kreative Tätigkeiten, schienen sicher vor dem Siegeszug der Technik.

Bis dann vor einer Weile »Künstliche Intelligenz«, »Maschinenlernen«, »Generative KI« und verwandte Begriffe auf der Bildfläche erschienen. Längst nicht so plötzlich, wie es vielen erscheinen mochte – die Entwicklung Künstlicher Intelligenz reicht weit ins vergangene Jahrhundert zurück –, aber trotzdem mit einem gewaltigen Momentum und dem Gefühl, ein Sturm komme auf.

Auf den ersten Blick mag es nur »gerecht« erscheinen, dass endlich mal auch die Snobs aus Gymnasium und Uni vom Fortschritt eingeholt werden und um ihre Jobsicherheit bangen müssen. Wie immer im Leben, so lohnt allerdings auch hier genaueres Hinsehen.

Bild einer vollautomatischen Autoproduktion; ein silbergraues, halbfertiges Autochassis hängt zwischen orangen Roboterarmen.
Bild: Lenny Kuhne via Unsplash.

Ohne chauvinistisch erscheinen zu wollen oder »von oben herab«: Es gibt Unterschiede zwischen den Tätigkeitsfeldern. Wenn ein Roboterpark das Zusammensetzen von Autos von den Arbeitern übernimmt, dann ist das unter Umständen sogar eine ganz gute Idee, weil die Maschinen ermüdungsfrei und präzise arbeiten, aber vor allem, weil die immer gleiche, »stumpfe« Tätigkeit den Menschen gar nicht mal besonders gut tut. Mental wie auch physisch.

Randbemerkung: Das war ja auch mal mit einem Versprechen verbunden: Wenn Maschinen die lästigen Arbeiten verrichten, dann haben die Menschen mehr Zeit für die schönen Dinge des Lebens, hieß es einst.

Daraus ist allerdings nichts geworden; mag sein, dass der Kapitalismus und vor allem seine Protagonisten (Sie wissen schon: Fabrikbesitzer, Shareholder, Millionäre, Milliardäre) daran einen nicht geringen Anteil haben.

Close-up of a laser beam on a human eye.
Bild: Brands&People via Unsplash.

Aber zurück zum Thema: Auch in manch anderen Bereichen mag der Einsatz von Robotern und Maschinen sinnvoll sein. Kritische Operationen zum Beispiel, die hohe Präzision erfordern, sind möglicherweise bei computergestützten Lasern in besseren … nun ja – Händen. (Allerdings braucht es im medizinischen Bereich unbedingt und in noch viel größerem Maß als in Deutschland heute üblich persönliche Ansprache und menschliche Nähe; hier darf die Maschine nur ergänzend und von nötigenfalls händchenhaltenden Menschen begleitet tätig sein.)

Auch die Auswertung riesiger Datenmengen (Big Data) für beispielsweise wissenschaftliche Zwecke zur Erforschung von Klimakatastrophe, Pandemieentwicklungen oder genetischen Strukturen ist sicher häufig eine unschätzbare Hilfe.

Wenn es aber um das Schaffen neuer Inhalte geht, also den schöpferischen Prozess, dann ist der Einsatz von Maschinenhirnen vollkommen unangebracht. (Und ja, auch eine Bewerbung zu schreiben, ist ein schöpferischer Prozess, dessen Ergebnis viel über die Person hinter den Worten verrät.)

Der Grund ist simpel: Maschinen sind nicht schöpferisch.

Sie (re-)kombinieren nur, was sie aufgeschnappt haben, während sie im unendlichen Internet unterwegs waren auf der Suche nach Beute. Dass sie dabei auf das Urheberrecht scheißen – drauf g’schissen!

Wenn sie denn wenigstens etwas wirklich Neues hervorbrächten.

Aber nein, Large Language Models (LLM) wie der phänomenal hochsterilisierte Automat ChatGPT, Googles Lamda, Metas Llama, der chinesische Ernie von Baidu und das Laptop-taugliche Orca von Microsoft, oder die Text-to-image-Graphikprogramme (DALL-E, Imagen, Stable Diffusion, Midjourney) plappern beziehungsweise pinseln nur nach, was ihnen vorgegeben wurde.

Unterstützt von – zugegebenermaßen beeindruckenden – riesigen künstlichen neuronalen Netzen (KNN) und Deep-Learning-Techniken, ziehen die Algorithmen durch die pflückreifen Felder des WWW und nehmen einfach alles mit, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.

Aus den bei ihren Streifzügen erbeuteten Daten lesen sie dann Regelmäßigkeiten heraus. Je öfter B auf A folgt, desto sicherer werden die Bit-Gehirne, dass B hinter A gehört. Oder, wie es die englischsprachige Wikipedia ausdrückt: Generative AI models learn the patterns and structure of their input training data and then generate new data that has similar characteristics.

Frei übersetzt bedeutet das also, dass ChatGPT, Midjourney und all die anderen Anwendungen aus dem Bereich der generativen KI Muster und Strukturen ihrer Trainingsdaten lernen und neue Datensätze mit ähnlichen Eigenschaften erzeugen.

Man könnte das wohl »Nachäffen« nennen.

Auch das Online-Wörterbuch Linguee hat 2009 einfach erstmal angefangen, Texte im Netz zu analysieren. Mittlerweile zum Volltext-Übersetzungstool DeepL herangewachsen, ist es ein Beispiel dafür, was KI wirklich prima kann: das, was ist, auswerten.

Was sie nicht kann, ist, grundsätzlich Neues zu schaffen.

Und aus den oben beschriebenen Prinzipien der Datengewinnung und -analyse erwachsen eine Reihe weiterer Probleme:

  1. Die Algorithmen sind ignorant. Sie nehmen alles für bare Münze. Ohne Unterschied. Alles. Alle Fake-News, alle unabsichtlichen Irrtümer, alle absichtlich gestreuten Verwirrungen. Alle nationalistischen, rassistischen, sexistischen, misogynen, ableistischen Vorurteile. Sie diskriminieren, weil das Netz es tut. Hier ein, nein zwei, nein drei Links zu dem Thema (es hätten auch dreißig werden können).
  2. Die LLMs sind »Black Boxes«. Ab einem bestimmten Punkt, ab der n-ten Schicht der übereinandergestapelten Analyse-Ebenen wissen nicht mal ihre Programmierer mehr, was die Software tut.
  3. Die Ergebnisse wirken, zumindest auf den ersten Blick, überzeugend. Und bekanntlich ist es ja der erste Eindruck, der zählt; kaum jemand scheint noch gewillt oder gar imstande, tiefer zu schauen, sich Zeit zu nehmen, kritisch zu hinterfragen und selbst zu recherchieren. Sei es aus Bequemlichkeit oder auch Unvermögen: Viele Menschen verlassen sich auf das, was ihnen die KI vorsetzt. Und das kann der allergrößte Unfug sein, wie sich hier oder hier oder auch hier nachlesen lässt. Manchmal kann es sogar gefährlich werden. (Auch hier könnten wieder viele weitere Links stehen.)

Es gibt noch ein weiteres Argument, das hier zu entkräften versucht werden soll: Aber Nachahmung und Imitation sind doch immer die Grundlage des Lernens, und auch die Grundlage kreativer Schöpfung.

Kinderhände in Nahaufnahme beim Klavierspielen.
Bild: Clark Young via Unsplash.

Es stimmt, Menschen zwischen sechs Monaten und sechs Jahren verfahren ganz ähnlich wie die künstlichen neuronalen Netze, wenn sie Sprachen lernen, später dann ein Musikinstrument und Mathematik. Aber im Vergleich zu ihnen, die mit jedem neuen »Trainingssatz« auch ihr Verständnis erweitern, und deren Gehirne mit ihren Synapsen Verbindungen schaffen, die zu genuiner Neuschöpfung imstande sind, haben KI-Systeme gerade mal das Verständnis von Papageien.

Und auch Künstler*innen, Schreibende, alle Menschen, die etwas schaffen (und sei es ein Bewerbungsschreiben) greifen natürlich auf einen riesigen Datensatz aus Abgespeichertem und Wissen zurück – Grammatikregeln, Harmonie- und Farbenlehre, die Chorsätze der Beatles, die knappe, zurückgenommene Sprache Ernest Hemingways –, aber im Unterschied selbst zum »deepsten« Learning verstehen sie, was sie tun.

Wer will, mag auch gern sagen: Ihr Schaffen hat Seele. Oder, etwas weniger »eso«: Originalität.

Bis ein von einem LLM erzeugter Text es schaffen wird zu strahlen und zu funkeln, Menschen tief ins Herz zu treffen, sie dazu anzuregen, über die großen Fragen des Lebens zu reflektieren – kurz, Menschen zu bewegen, bis dahin wird wohl noch eine Ewigkeit vergehen. Buchstäblich.

WERNERPRISE° — Das Blog.