Reförmchen.

5 Minuten Lesedauer
Eine sehr alte, schwarze Schreibmaschine mit gelbem Firmenschriftzug »Corona« und einem schwarz-roten Farbband.
Bild: Johnny Briggs via Unsplash.

Wer das WERNERPRISE°-Blog aufmerksam liest, wird schon gesehen haben, dass manchmal ungewohnte Schreibweisen auftauchen.

Das sind keine Flüchtigkeitsfehler (also, zumindest normalerweise nicht).

Hier folgt ein kleiner Blick in den Rückspiegel, genauer, ins Jahr 1996. Da trat die große Rechtschreibreform deutschsprachiger Länder in Kraft. Natürlich nicht aus heiterem Himmel; vorausgegangen waren seit 1980 Gespräche, Konferenzen, zahlreiche Vorschläge (von denen glücklicherweise viele, wie Keiser statt Kaiser und Bot statt Boot, nicht aus den Kinderschuhen herauswuchsen).

Seitdem ist mehr als ein Vierteljahrhundert vergangen, im Laufe dessen immer wieder Reformen der Reform vorgenommen wurden, so dass sie mittlerweile wirklich nur noch den Titel »Reförmchen« verdient. Sehr vieles, was zwischen ’96 und 2006 verbindliche Neuschreibung war, wurde zur Kann-Regel zurückentwickelt. Inzwischen geht wieder vieles, und das ist auch besser so.

Einiges geht trotzdem nicht. Also, zumindest nicht offiziell. Hier aber schon!

  1. Siebzehn Mal wurde sein Antrag abgelehnt (…) — nope¹, lieber Duden, darauf kannst du noch so sehr bestehen, bei WERNERPRISE° heißt es weiterhin wie früher siebzehn mal oder siebzehnmal. Das großgeschriebene Mal kennzeichnet ein Ereignis und ist als solches ein Nomen, also großzuschreiben, das stimmt (Nur dieses eine Mal noch, schwor sie sich). Aber das mal([nehm]en) mit Zahlen ist eine mathematische Angelegenheit. Kein*e Mathelehrer*in käme wohl auf die Idee, wieviel ist 3 Mal 7 an die Tafel zu schreiben. Da könnte ja jede*r kommen und wieviel ist 21 Geteilt Durch 3 schreiben.
  2. Noch mal Groß- und Kleinschreibung: Wenn nach einer Reform etwas nicht mehr logisch ist, dann ist die Reform nicht logisch. Wieso sollte es die beiden, aber die Einzigen heißen? In dieser Verwendung ist einzige ein Pronomen, steht also stellvertretend für ein Nomen (das vorher vorkommt oder auch nicht). Hier heißt es weiter die einzigen.
  3. In Zeiten, in denen es üblich ist, sieben bis siebzehn Feuer-Emojis 🔥 🔥 🔥 unter einen Post zu setzen, klingt die Devise weniger ist mehr vielleicht komisch, aber: Dreifach-Konsonanten sind ästhe­tische Unfälle. So wichtig (und beäng­stigend) die Kippunkte in der Klimadebatte auch sind, Kipppunkte sind sie trotzdem nicht, und die Schiffahrt kommt auch be­stens ohne drittes F aus.
    (Übrigens stehen auch Satzzeichen ungern in größeren Gruppen zusammen, ganz unabhängig von irgendeiner Reform: Das Fragezeichen sollte überhaupt nur einfach verwendet werden, das Ausrufezeichen höch­stens dreimal², und die Kombination aus beiden gibt es nur in genau einer Form: »?!«

¹ € 5 in die Anglizismuskasse!
² Obwohl die noch relativ junge Variante !!!1!1!111!! zugegebenermaßen lu­stig ist …

Und hier noch einige Kann-Regeln, bei denen die bevorzugte Schreibweise des Dudens von WERNERPRISE° mit Nachdruck ignoriert wird:

Ein Delphin springt kraftvoll aus spritzenden Wellen empor.
Bild: Flavio via Unsplash.
  1. Wir fotografierten mit unseren Telefonen Delfine, während Dörte Saxofon spielte. Mag sein, aber nicht in diesem Blog. Hier wird photographiert, telephoniert, Saxophon gespielt, und Delphine werden leider nur auf dem Bildschirm beobachtet. Aber das schöne, aus dem Griechischen stammende PH bleibt bitte, und sei es nur aus philosophischen Gründen (die nämlich nach wie vor nicht mit F geschrieben werden – siehe oben, Kinderschuhe; es stand auch mal die »Filosofie« zur Debatte).
  2. Unsere Kleine ist schon sehr selbstständig! Das ist schön, aber nur inhaltlich – viele nicht Deutsch sprechende Menschen mögen unsere Sprache vor allem deswegen nicht, weil sie so hart und zackig zischend ist. Ein doppeltes ST macht uns in Griechenland oder Frankreich nicht gerade beliebter. Und, mal ehrlich: Es klingt wirklich ein bisschen gemein und sieht noch nicht mal gut aus. Also bleibt’s hier bei selb­ständig.
  3. (Am Rande, weil’s gerade passt: Heutzutage wird die Buchstabenkombination st getrennt, wenn sie an ein Zeilenende fällt. Früher hieß es: Trenne nie ST, denn es tut ihm weh! Was natürlich Quatsch ist, Buchstaben sind mit hoher Wahrscheinlichkeit schmerzunempfindlich. Aber hier wird die alte Regel weiter befolgt, und zwar ganz ohne Begründung, einfach nur weil: is’ schöner. Es funktioniert be-stens statt bes-tens, das kennen die mei-sten statt meis-ten. Zugegeben: Geschmackssache. Aber darüber lässt sich bekanntlich nicht streiten. Und die Website schriftdeutsch.de hat noch eine zusätzliche und bessere Erklärung; Wachs-tube, lol!)

Eine der ganz, ganz wenigen wirklich überzeugenden Post-Reform-Regelungen ist die Unterscheidung, wann das Doppel-S und wann das ß einzusetzen sind.

(Falls sich jemand nicht sicher ist: Ein kurzer Vokal vor dem scharfen S will ein Doppel-S [sie wissen], ein langer oder ein Doppel-Vokal das ß [sie weiß]. Seitdem kann man prima zwischen dem bayerischen Exzessgefäß, das gleich einen ganzen Liter Bier fasst [Mass], und dem unterscheiden, mit dem gemessen wird [Maß]).

P.S.: Wenn WERNERPRISE° für Kunden arbeitet, haben selbstverständlich deren Vorlieben Vorrang!

Scheinbar ≠ anscheinend.

< 1 Minute Lesedauer

Dies wird ein kurzer Beitrag; eher eine Art PSA oder Eselsbrücke.

Viele, sehr viele Menschen verwenden die beiden Begriffe aus der Überschrift synonym, also so, als hätten sie dieselbe Bedeutung. Das ist aber falsch.

Das sagt der Duden:
scheinbar — aufgrund einer Täuschung wirklich, als Tatsache erscheinend, aber in Wahrheit nicht wirklich gegeben

Die Eselsbrücke besteht aus einem zusätzlichen Wort, nämlich nur. Die Beispiele des Duden:
— das ist nur ein scheinbarer Widerspruch
— er ist nur scheinbar unabhängig

Es scheint also nur so.

Das Adverb anscheinend andererseits, schreibt der Duden, besagt, dass etwas allem Anschein nach tatsächlich so ist, wie es sich darstellt.

Es sieht also so aus, als wäre es wirklich so.

Nochmal die Eselsbrücke: Es käme wohl niemand auf die Idee, nur anscheinend zu sagen oder schreiben. Also immer ausprobieren: Wenn es zusammen mit nur richtig klingt, dann ist es scheinbar und nicht wirklich.
Wenn das nur keinen Sinn ergibt, dann ist es anscheinend, also sehr wahrscheinlich wirklich.

Bitte schön.

Komma her!

3 Minuten Lesedauer
Bild eines orange-gelben Schmetterlings mit braunen Mustern auf einem weiß-grauen Stein vor unscharfem, grünen Hintergrund.
Polygonia comma.
Bild: Erik Karits via Unsplash.

Es gibt Dinge in der Sprache, die werden immer seltener. Über den rapidissimo aussterbenden Bindestrich wird es hier demnächst einen eigenen Beitrag geben¹, aber auch das Komma ist im Schwinden begriffen.

Sehr, sehr leider.

Zwischen vollständigen Hauptsätzen, die mit und, oder, entweder – oder, weder – noch oder beziehungsweise verbunden sind, kann ein Komma stehen – muss aber nicht.

Sollte aber.

(Auch wenn der Duden das »Muss nicht« eine gute Nachricht nennt.)

Merke: Einfach angewöhnen, immer setzen. Es darf ja.

So vermeidet man Satz-Ungetüme wie dieses: Sie hatte sich so auf die Feiertage gefreut und ihre Eltern wollten sie so gerne sehen und sie waren auch neugierig auf ihren neuen Freund. Atemlose Kindersprache.

Oder: Entweder das letzte Bier war schlecht gewesen oder er hatte sich ein Magen-und-Darm-Virus eingefangen und die Haferflocken mit einem Haltbarkeitsdatum aus dem vergangenen Jahr rochen auch schon etwas ranzig. Katerverwirrte Post-Party-Sprache.

Ist übrigens auch logischer, denn, noch mal der Duden: Werden vollständige Hauptsätze durch sogenannte adversative Konjunktionen verknüpft, d. h. Konjunktionen, die einen Gegensatz ausdrücken, muss immer ein Komma gesetzt werden.

Wieso, weshalb, warum? Ich gehe und du läufst ist richtig, Ich gehe aber du läufst ist falsch? Um den deutschen Komiker (und hervorragenden Musiker!) Helge Schneider zu zitieren: Alberner Duden!

Also bitte: Ich gehe, und du läufst. Ich gehe, aber du läufst.

Noch wichtiger, und tatsächlich auch keine Kann-, sondern eine Muss-Regel: Eingeschobene Nebensätze werden mit einem Komma eingeleitet und mit einem weiteren beendet.

Also bitte nicht schreiben: Ich treffe eine Freundin, die ich lange nicht gesehen habe und wir gehen ans Meer. Sondern: Ich treffe eine Freundin, die ich lange nicht gesehen habe, und wir gehen ans Meer.

Zum Schluss noch eine weitere Opposition gegen den Duden: Dort steht nämlich ausdrücklich, dass bei weder – noch kein Komma zu setzen sei (im Widerspruch zum weiter oben verlinkten Artikel ürigens). Und dann kommt ein Beispielsatz, bei dem die WERNERPRISE°-Redaktion die Hände über dem Kopf zusammenschlägt: Ich beherrsche weder die boolesche Algebra noch die lateinischen Stammformen noch den Bassnotenschlüssel noch die Abseitsregel.

Was für ein unattraktiver Bandwurm!

Hier werden Sie, auch wenn das eine Rüge der Duden-Redaktion nach sich ziehen mag, für immer und alle Zeiten lesen: Ich beherrsche weder die boolesche Algebra, noch die lateinischen Stammformen, noch den Bassnotenschlüssel, noch die Abseitsregel. (Weder Abseitsregel, noch Bassnotenschlüssel sind übrigens wirklich schwer; anders ist es mit der booleschen Algebra. Lateinische Stammformen wiederum kann man lernen [und bald darauf leider wieder vergessen].)

¹ Auch wird es hier demnächst einen eigenen Artikel über das Semikolon geben; eines der unterschätzte­sten Satzzeichen nicht nur der deutschen Sprache, sondern auch international völlig zu unrecht geschmäht.

Kurz – und gut?

6 Minuten Lesedauer
Photo von schwarzen Shorts mit weißen Punkten, die an einer Wäscheleine hängen. Im Hintergrund grünes Laub, und im oberen Bereich ist durch ein Glasdach ein wenig Himmel zu sehen.
Bild: Niklas Hamann via Unsplash.

Ernst Piper, Professor für Neuere Geschichte, schrieb vor gut zwei Jahren für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) einen Artikel über die Weimarer Republik mit dem Titel »Gefährdete Stabilität 1924-1929«. (Leider wieder hochaktuell, Leseempfehlung!)

Wie mittlerweile üblich, steht am Anfang des Textes die geschätzte Lesedauer: 27 Minuten zu lesen.

Das ist vermutlich kein Rekord, aber zumindest am entgegengesetzten Ende von tl;dr.

Die Abkürzung ist im Internet weit verbreitet und bedeutet too long; didn’t read. Vermutlich zuerst 2002 verwendet, hat sie sich inzwischen für zwei Zwecke durchgesetzt: Einerseits, um zum Beispiel in einem Kommentar zu bemängeln oder zu spotten, ein Text sei zu lang, und andererseits, um einem langen Text eine Zusammenfassung voran- oder nachzustellen.

Aber was genau bedeutet dieses »zu lang«?

Und, im Sinne der Überschrift: Ist kurz wirklich immer gut? Oder gar besser?

Zum er­sten Punkt: Ob Leser*innen einen Text als zu lang empfinden, hängt zu einem guten Teil von ihren Lesegewohnheiten ab. Menschen, die sich hauptsächlich bei TikTok informieren (in Großbritannien sind das knapp 30 Prozent der Zwölf- bis 15-Jährigen […], [und] einer von zehn britischen Erwachsenen bezieht Nachrichten über die App), wird wahrscheinlich ein durchschnittlicher Blogbeitrag schon (zu) lang erscheinen, den Menschen, die regelmäßig sonntagvormittags die komplette ZEIT lesen, noch als kurz wahrnehmen.

Text-Seite einer Postkarte, eng beschrieben in alter deutscher Handschrift mit fast unleserlichem Text.
Bild: Private Postkarte von 1909 via Wikimedia Commons (gemeinfrei).

Gleichzeitig sind wir alle auch Spiegel der Gesellschaft, in der wir leben. Josephine Obert zum Beispiel ist Postkartenforscherin und sagte 2018 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: Die Texte werden immer kürzer.

Naja okay, mögen Sie sagen, auf Postkarten … Aber auch, beispielsweise, in Schulbüchern: Das österreichische Bundesmini­sterium für Unterricht, Kunst und Kultur schrieb schon 2002: Mit dem gesellschaftlichen und vor allem dem kom­mu­ni­ka­tions- und medientechnologischen Wandel der letzten Jahrzehnte haben sich viele Lesestoffe und hat sich auch das Lesen selbst verändert: Visuelle Darstellungsformen ergänzen immer häufiger und in immer mehr Bereichen unseres täglichen Lebens die Schriftlichkeit. (…) Lesen wandert zunehmend auf den Bildschirm, Texte werden kürzer und stärker gegliedert, auch in Schulbüchern werden zentrale Inhalte zunehmend visualisiert vermittelt.

Knappe Texte, viele hübsche, bunte Bilder: So verlieren Menschen schon früh ihre Konzentrationsfähigkeit, ihre Aufmerksamkeitsspanne wird immer geringer (angeblich sind es nur noch acht Sekunden, bis sie von etwas anderem abgelenkt werden), ihnen wird der »Fokus gestohlen«, wie eine These und ein Buchtitel des (nicht unumstrittenen, aber lesenswerten) Autors Johann Hari lauten.

Nur noch ein weiterer Vergleich: Auf der Titelseite der hannoverschen Tageszeitung »Norddeutscher Kurier« vom 26. November 1923 steht ein Text von rund 2 500 Wörtern Länge; eine durchschnittliche Lesegeschwindigkeit von 200 Wörtern pro Minute vorausgesetzt, stünde heute darüber: »Lesedauer 13 Minuten«. Und dieser Text macht nur etwa die Hälfte der Seite aus.

Tageszeitung. Titelseite.

Heute, 100 Jahre später: absolut unvorstellbar.

Kinder-Kreidezeichnung eines Hauses mit einem Apfelbaum und der Sonne, ungelenk mit weißer Kreide auf eine schwarze Tafel gezeichnet.
Bild: Mick Haupt via Unsplash.

Manche Zyniker (und auch nüchterne Forscher) sprechen schon seit einiger Zeit von einer zunehmenden Infantilisierung der Gesellschaft; die englische Originalausgabe des Buches »Wir amüsieren uns zu Tode« von Neil Postman erschien 1985. Darin wird die Grundidee von Aldous Huxleys »Brave New World« (»Schöne neue Welt«) weitergeführt, dass die Menschen sich freiwillig in Unfreiheit begeben, weil sie Lustbefriedigung und kurzweilige Unterhaltung ihrer eigenen Autonomie vorziehen.

Auch die Massenmedien (Print, Radio, TV und ihre jeweiligen Online-Ableger) reagieren auf wachsenden wirtschaftlichen Druck mit einer Anpassung ihres Journalismus an Publikumswünsche, indem sie immer häufiger Information und Unterhaltung, Öffentliches und Privates vermischen, wie eine hochinteressante Analyse der oben schon erwähnten bpb kon­statiert.

Und ein (englischsprachiger) Artikel aus diesem Jahr in The Guardian erwähnt viele weitere Faktoren, die Konzentration beeinflussen können, wie zum Beispiel die immer kürzer werdenden Schnittfolgen in Filmen und Serien – eine subtile, ganz und gar unbemerkte Manipulation menschlicher Wahrnehmung.

Nicht nur wird die individuelle Konzentrationsfähigkeit immer geringer, auch gesellschaftlich zeigt sich: Die kollektive Aufmerksamkeit nimmt ab, wie das Magazin Forschung & Lehre schon 2019 schrieb. Während 2013 ein Hashtag durchschnittlich 17,5 Stunden in der Top-50-Li­ste war, blieb er dort 2016 nur noch durchschnittlich 11,9 Stunden, heißt es da. Und in diesem Jahr beträgt die durchschnittliche Lebensdauer eines trending hashtags elf Minuten.

Auch das Max-Planck-In­stitut kam 2019 zu dem Schluss: Mit der Informationsflut sinkt die Aufmerksamkeitsspanne der Gesellschaft.

So, das war jetzt in gewisser Weise auch eine Informationsflut – wer’s bis hierher geschafft hat: Hut ab! 😎

Kehren wir zurück zur Überschrift und der zweiten sich stellenden Frage: Ist kurz gut?

Es wäre schön, könnte man diese Frage mit einem einfachen »Nein!« beantworten. Aber alle, die sich öffentlich äußern, sei es in Video- und Audiobeiträgen oder mit dem geschriebenen Wort, müssen sich zwangsläufig auch Gedanken machen darüber, wen sie wie erreichen wollen. Wem nützt es, einen ewig langen Artikel über ein Herzensthema zu schreiben, den niemand liest, weil: tl;dr?

Andererseits: Wem nützt es, wenn sich alle Schreibenden, alle Medien- und Journalismusschaffenden dem »neuen Normal« von maximal zwei Minuten Lesedauer unterordnen? Damit befördern sie schließlich einen Prozess, der schleichend, aber nachhaltig zu einer Entmündigung der Menschen führt. Denn eines ist sicher:

Nur wer imstande ist, komplexe Sachverhalte zu verstehen, ist auch imstande, komplexe Probleme zu lösen.¹

Wer sich nicht konzentrieren kann, wird zum Spielball fremder Interessen.

Wirtschaftlicher und politischer.

Anders ausgedrückt: Wer nicht gründlich, nüchtern und differenziert Für und Wider abwägen kann, kann auch nicht Demokratie.

Aber ohne Demokratie – das lässt sich schon seit einer Weile beobachten – fällt die Menschheit zurück in mittelalterliche Feudalstrukturen. In denen nur die Für­sten² Rechte haben, alle anderen aber entrechtetes Fußvolk sind.

Wollen wir Menschen das?

¹ Deswegen fällt es zum Beispiel vielen immer noch so schwer, die Tragweite der Klimakata­strophe anzuerkennen.

² Milliardäre, Millionäre, Konzernlenker, Venture Capitalists, Shareholder … Sie wissen schon.

Künstlich ja, Intelligenz nein.

< 1 Minute Lesedauer

Diesmal steht hier nur ein ganz kurzer Text, da auf etwas verlinkt wird, das viel besser, viel unterhaltsamer und vor allem viel fundierter erklärt, wie ChatGPT und andere KI-Anwendungen funktionieren – und welchen Nutzen und welche Grenzen die LLMs zum Beispiel im Journalismus haben.

Eva Wolfangel hielt vor einer Woche einen Vortrag bei einer Veranstaltung der saarländischen Landeszentrale für politische Bildung zusammen mit dem Verein Algoright e.V., der Landesmedienanstalt des Saarlandes und des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz.

Die er­ste knappe Viertelstunde ist recht langatmig, hauptsächlich werden alle Beteiligten an der Veranstaltung gelobt und Eva Wolfangel wird vorgestellt, deswegen steigt dieser Link erst bei 14:43 ein.

Und ja, die Überschrift hier oben erklärt sich sehr schnell beim Angucken.

P.S.: Eva Wolfangel selbst gesteht übrigens auf Ma­stodon, dass, wenn sie eigene Interviews auf doppelter Geschwindigkeit abspielt, man fast alle anderen Menschen gut anhören kann auf diese Weise – nur ich spreche eigentlich wirklich zu schnell dafür.

Red’ mit dir!

3 Minuten Lesedauer
Als Mosaik gestaltetes Porträt einer Person mit großen Augen und roten Lippen, viele bunte Muster im Hintergrund. Durch digitale Bildbearbeitung ist das Gesicht gespiegelt, und es wirkt, als spräche es mit sich selbst.
Bild: Giulia May via Unsplash.

Schön ist ja, wie es seit einigen Jahren immer normaler wird zu erleben, dass Leute auf der Straße mit sich selbst sprechen.

Schon klar, meistens ist schlicht der kleine Knopf im Ohr nicht zu sehen, der die Sprechenden mit mobil verknüpften Angesprochenen verbindet. Aber es wirkt, als seien sie tatsächlich im Dialog mit sich selbst. Und der hat einen schlechten Ruf – deswegen ist diese Entwicklung so erfreulich. Weil sie hoffentlich, hoffentlich dazu führt, dass Mit-sich-selbst-Sprechende nicht mehr länger angeguckt werden, als seien sie mental beschädigt oder womöglich gar gefährlich.

Jener schlechte Ruf, den das Selbstgespräch hat, ist nämlich – mindestens teilweise – sehr unberechtigt.

So lange die Person noch von der Außenwelt erreichbar bleibt, so lange der Dialog mit sich selbst also keine Sich-Verschließen vor der Welt bedeutet, ist er ein gutes Hilfsmittel zur Selbstreflexion.

Vor einer Zimmertür ist der Rücken einer Person in schwarzer Kleidung zu sehen, die sich selbst umarmt.
Bild: Hala Al-Asadi via Unsplash.

Das WDR-Wissensmagazin Quarks zum Beispiel schreibt auf seiner Website: (…) Pragmatiker sprechen gut und viel mit sich selbst und können eine Problemlösung zielstrebig angehen.

Und verlinkt eine Studie (PDF-Download) der Psycholinguistin Anke Werani von 2009, in deren Zusammenfassung es heißt: In diesem Artikel wurde gezeigt, wie mit der Methode des lauten Denkens ein Zugang zum inneren Sprechen gefunden werden kann. (…) In konstruktiver, ermutigender und motivierender Form wirkt sich das innere Sprechen überaus positiv auf den Problemlöseprozess und damit die Problemlösegüte aus, es übernimmt Funktionen wie beispielsweise Selbstregulation, Reflexion über die momentane Tätigkeit sowie die eigentliche Problemlösung.

Schon vor Jahren sprach DER SPIEGEL mit der Psychologin Corinna Reichl vom Uniklinikum Heidelberg, und wenn der Artikel auch warnte: In Verbindung mit Einsamkeit können häufige Selbstgespräche ein Risikofaktor sein, so wurde Reichl doch so zitiert: Selbstgespräche sind in einem angemessenen Rahmen ganz und gar nicht schlecht.

Denn, so schreibt das Magazin weiter: Während eines Selbstgesprächs seien im Gehirn die gleichen Regionen aktiv wie bei einem tatsächlichen Dialog. Dies könne zu dem vorübergehenden Gefühl führen, in eine soziale Interaktion eingebunden zu sein

Es gibt der Quellen reichlich mehr, die eine wohltuende, unterstützende Wirkung des inneren Dialogs bestätigen; am schönsten aber bringt es vielleicht das Wissenschaftsmagazin Spektrum auf den Punkt: Schweigen ist Silber, Reden ist Gold.

Falsche Freunde.

2 Minuten Lesedauer

Er sucht sich immer wieder die falschen Freunde aus führt oft zu unschönen Ergebnissen¹.

¹ Randnotiz: Andererseits ist der Satz manchmal kompletter Blödsinn und die Freunde sind in Wirklichkeit ganz genau richtig!

Auch in der Sprache gibt es das Phänomen, allerdings in einem etwas anderen Sinn.

Nämlich dem, dass ein Wort aus der einen Sprache so ähnlich klingt oder eine verwandte Beschaffenheit hat wie ein anderes aus einer anderen. Dass die beiden sich zwar ähnlich sind, manchmal sogar identisch aussehen, aber ganz etwas anderes bedeuten. Die Wikipedia nennt Beispiele; so hat das Wort firma im Spanischen und Italienischen die Hauptbedeutung Unterschrift. Und das englische warehouse klingt wie Warenhaus, bedeutet aber Lager(halle), Großmarkt.

Hier kommt jetzt ein Beispiel aus der Internet-Welt:

Site.

Eine site ist im englischen Sprachgebrauch ein Areal, ein (Stand-)Ort, ein Platz, eine Anlage, ein Grundstück, eine Stätte (und noch einiges mehr), also bezeichnet website ein gesamtes Web-Projekt, einen Standort im Internet. Mit allem drum und dran, Eingangsbereich, Korridoren, Regalen in Lagern, Kellerräumen, Fenstern nach draußen …

Aber leider klingt das englische site wie das deutsche Seite. Und deswegen denken seit etwa 1996 die meisten Deutschen, eine Website sei eine Webseite. Stimmt bloß nicht, siehe oben. (Hören kann man den Unterschied übrigens auch, site hat ein scharfes S – wie das Messer zischt –, Seite ein weiches. Wie die Bienen summen.

Analog dazu heißt übrigens eine Webseite auf Englisch manchmal web page und meistens einfach page, wie die Seite in einem Buch.

Entsprechend der Maxime Ein Bild sagt mehr als tausend Worte (die hier bei WERNERPRISE° allerdings nicht gilt!) zur zusammenfassenden Verdeutlichung:

Die Homepage einer Website. Auf dunkelblauem Hintergrund steht in fast weißer Schrift: »Eine feine Website – (Unter-)Seite 1(Unter-)Seite 2(Unter-)Seite 3(Unter-)Seite 4 – Hallo, Welt! Ich bin eine feine Website, und dies hier ist meine erste Seite, auch Startseite, Index-Seite und manchmal sogar »Heimseite« genannt, nach ihrer ursprünglichen englischen Bezeichnung “Homepage”. – Oben in der Navigation (auch »Menü« genannt) wird zu vier weiteren Seiten verlinkt. – © 2023 Eine Feine Website. All Rights Reserved.«

Sinn machen.

1 Minute Lesedauer
An den Wortpranger werden in diesem Blog Wörter gestellt, die – aus verschiedensten Gründen – nicht existieren sollten. Und ja, die Auswahl ist zu einhundert Prozent subjektiv. Allerdings auch immer begründet.

Wer den wunderbaren, um nicht zu sagen: hervorragenden, Film »Eins, zwei, drei« (im Original »One, Two, Three«) von Billy Wilder gesehen hat, wird sich an den Ausruf des Coca-Cola-Chefs C. R. MacNamara (unglaublich gut: James Cagney) erinnern:

Sitzen machen! schnauzte der gerne seine Untergebenen an. Auch im amerikanischen Original.

Ungefähr so klingt auch Sinn machen, einer jener Anglizismen, die nicht wirklich bereichernd sind.

Es stimmt schon, die englische Sprache verwendet das Wort »make« für alles mögliche.

Soll sie doch! Bitte gern!

Sollen englisch sprechende Menschen doch Freunde machen, es auf dem Rückweg nach New York machen, es noch ganz knapp auf die Party machen, einen Lebensunterhalt machen, eine Rede machen, jemanden etwas tun machen; immerhin, auch im Deutschen machen Kleider Leute.

Aber hierzulande kann etwas nicht einfach aus dem Nichts »Sinn machen«, also erschaffen. Es muss sich schon etwas mehr anstrengen, in Demut üben und »Sinn ergeben«.

Aber nein, lieber ergeben sich die meisten deutschsprachigen Menschen dem Englischen. Das sprechen ja auch viel mehr Leute, also, logisch: Macht Sinn.

Lohnenswert.

2 Minuten Lesedauer
An den Wortpranger werden in diesem Blog Wörter gestellt, die – aus verschiedensten Gründen – nicht existieren sollten. Und ja, die Auswahl ist zu einhundert Prozent subjektiv. Allerdings auch immer begründet.

Es hat sich durchgesetzt, also muss es wohl vielen Menschen einleuchtend erscheinen – was aber vermutlich auf ein Beinahe-Homophon zurückzuführen ist:

Lobenswert ist nämlich ein völlig zu recht existierendes Wort, mit dem sich zugleich auch der Unsinn von lohnenswert prima erläutern lässt.

Wenn etwas lobenswert ist, dann ist es wert, gelobt zu werden. Ganz so, wie auch gilt:
hörenswert = wert, gehört zu werden,
sehenswert = wert, gesehen zu werden,
empfehlenswert = wert, empfohlen zu werden.

Okay, mit dieser Logik nun zurück zum Ausgangspunkt:
Lohnenswertwert, gelohnt zu werden. Denn gelohnt zu werden ergibt einfach überhaupt keinen Sinn.

Kurzer Einschub: Wer jetzt sagt: Aber was ist mit belohnt zu werden, der*m sei gesagt: Das ist etwas völlig anderes; das ist auch nicht, was das Wort in seiner alltäglichen Verwendung ausdrücken soll; und schließlich: Dann müsste es belohnenswert heißen.

Und auch die eventuell ins Feld geführte Option, wert, sich zu lohnen ist offensichtlicher Unfug.

Aber schlimmer noch ist fast: Es gibt doch längst ein Wort, das genau das ausdrückt, was lohnenswert gern ausdrücken würde:

Ladies and Gentlemen, Mesdames et Messieurs, et voilà:

Lohnend.

Ist obendrein sogar noch kürzer. Und eigentlich setzen sich doch die kürzeren meistens durch.

Diesmal leider nicht.

Das kürzere lohnend hat den Kürzeren gezogen zugunsten des fürchterlichen lohnenswert.

Es geht eben oft nicht gerecht zu in der Welt. Auch nicht in der Welt der Sprache.

WERNERPRISE° — Das Blog.