Pro-pan-ganda.

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Die Afro-Amerikanerin Erykah Badu trägt ein buntes, indigen anmutendes Stirnband, um ihre vielen Haare zu bändigen, außerdem auffällige, aus größer werdenden Kreisen bestehende Ohrringe und einen Nasenring. Der Bildhintergrund ist orange-braun und mutet ebenfalls indigen an.
Erykah Badu in dem Interview.
Copyright: Fair use.

Erykah Badu zitiert in diesem kurzen Interview-Ausschnitt eine Philosophie, die besagt, dass 85 Prozent der Menschen auf dem Planeten Mitläufer [followers] sind. 10 Prozent der Menschen auf dem Planeten sind Kreative [creatives] oder Anführer [leaders]. Und 5 Prozent der Menschen sind Beobachter [observers]. Letztere werden oft entweder gleich ermordet oder anderweitig zum Schweigen gebracht, weil sie den 10 Prozent ihr Geschäftsmodell verhageln. Und das geht deswegen so einfach, weil die Leute geführt werden wollen.

Woher auch immer diese Philosophie stammt, wie zuverlässig auch immer die Informationen der Sängerin und Musikerin sind, intuitiv zumindest scheint diese Einschätzung leider sehr richtig.

Wer gelenkt wird, muss dieser Lenkung erstmal zustimmen — zumindest unbewusst, ja. Und laut Erykahs Zitat wollen die allermei­sten das auch. Allerdings sind die Lenkungsmethoden schon auch sehr perfide, siehe – als ein sehr deutliches Beispiel – Cambridge Analytica.

Wer die Wirkmacht von Propaganda in Bezug zur Formbarkeit von Menschen setzt, schiebt damit nicht die Verantwortung auf andere ab, sondern benennt die Komplexität zutreffender.

Die AfD ist nicht zuletzt so stark geworden, weil in Deutschland immer noch viele Menschen im Herzen Nazis sind. Trotzdem »hilft« es, dass externe Kräfte Zweifel säen mit Desinformation und Lügen.

Die riesige Ölplattform mit unzähligen stählernen Aufbauten auf vier gewaltigen, orangefarbenen Säulen liegt schräg im Meer.
Die sinkende Ölplattform Thunder Horse, 2005. Quelle: Wikimedia.

Und »externe Kräfte« kann zum Beispiel auch bedeuten: BP/Exxon/Shell, die seit den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts gezielt Fehlinformationen zum Einfluss von CO₂ auf das Klima verbreitet haben. Da gab es schon den Bericht an den Club of Rome, »Die Grenzen des Wachstums«, aber das war halt ein dickes Buch, anstrengend zu lesen. Da hat man lieber der Fossil-Propaganda geglaubt. Und bis heute hält diese Verbreitung von Falschinformationen an, wie dieser (englischsprachige) Kommentar im Magazin Salon belegt.

Ein Fazit könnte sein: Es braucht immer zwei – nämlich Akteure, die lenken, und Menschen, die sich lenken lassen. Er­stere sind aber allermei­stens in einer Machtposition, die sie für ihre Propaganda schamlos ausnutzen. Sie haben, ganz einfach gesagt, das Geld, »alternative Fakten« zu kaufen und zu verbreiten.

Für einen etwas positiveren Ausklang und als P.S.: Erykah hat im August 2018 einen der legendären npr-Tiny-Desk-Gigs performt. Sehr sehens- und hörenswert!

Sich. Und andere?

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Stilisierte Symbolbilder im Emoji-Stil mit vier verschiedenen Gesichtern in unterschiedlichen Hautfarben, die alle eine Atemschutzmaske tragen.
Graphik: visuals via Unsplash.

Na, wer erinnert sich noch an damals, als die Seuche kam? Über vier Jahre ist das her — Kinder, wie die Zeit vergeht! — und ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Menschen kurzfri­stig aus Angst und anderen egoi­stischen Motiven imstande sind, sich vernünftig zu verhalten. Langfri­stig aber, und aus Altruismus? Fehlanzeige.

So bald sie durften, rissen sich die mei­sten die ach, so lä­stigen Masken vom Gesicht, aßen endlich wieder auswärts, gingen wieder, natürlich maskenlos, ins Kino, in Konzerte, in Vorträge, in Versammlungen, schließlich dann sogar in Arztpraxen und Krankenhäuser.

Jenen Teil der Botschaft, in dem es hieß, dass man sich und andere mit der Maske schütze, den haben sie überlesen, überhört, übersehen, ignoriert.

Person mit einer Ela­stomer-Atemschutzmaske, die fast das gesamte Gesicht bedeckt. Darüber trägt die Person zusätzlich eine Brille.
Photo: Matt Koffel via Unsplash.

Risikopersonen, die eine Infektion unbedingt vermeiden müssen, sind seitdem noch einsamer, als sie vielleicht vorher schon waren. Sie können nicht mehr einkaufen, zur Ärzt*in, ins Krankenhaus gehen, ohne sich mit Masken zu schützen, die an apokalyptische Filme erinnern. (Auch wenn manche viel Kreativität und Geduld aufwenden, solche Masken außerordentlich originell und schön zu verzieren.)

Trügen einfach alle weiterhin reguläre FFP-2-Masken, wenn sie in geschlossene Räume mit anderen Menschen gehen (medizinische und therapeutische Praxen und Hospitäler, Einkaufszentren und Supermärkte …), dann wäre es jenen Menschen, die ein erhöhtes Risiko haben – und das sind nicht wenige, dazu gleich mehr – auch weiterhin möglich, ein relativ normales Leben zu leben.

So wie sich die Lage momentan darstellt, hindert sie der Rest der Menschheit daran.

Das ist aus minde­stens zwei Gründen falsch.

1. Ebenso wie Rassismus, Klassismus und Sexismus gehört auch Ableismus zu den -ismen, die in einer modernen Gesellschaft nichts zu suchen haben. Leute, denen es gut geht, mental und physisch, neigen leider sehr dazu, jene vielen anderen zu vergessen, deren Leib oder Seele (oder beide) unter Einschränkungen leiden.

Aber ebenso, wie es mittlerweile an (immer noch nicht allen, aber immerhin) vielen Orten Zugangsmöglichkeiten für Rollstuhlfahrer*innen gibt, Gebärdensprache für im Hören Eingeschränkte, oder auch beschreibenden ALT-Text zu Internet-Bildern, der Menschen mit eingeschränktem Gesichtssinn von Screenreadern vorgelesen wird (um nur einige Beispiele zu nennen) – ganz genau so muss auch Immungeschwächten, an Herzschwäche Leidenden, Menschen mit einer neurologischen Erkrankung, Diabetes, anderen chronischen Erkrankungen die »Teilhabe«, wie es immer so schön heißt, »ermöglicht werden«.

Es gibt keinen einzigen vernünftigen Grund dagegen, in geschlossenen Räumen eine Maske zu tragen. Aber viele Gründe dafür.

Mehrere Personen mit Schutzmasken, die in einem Tischkreis zusammen in einem Raum sitzen.
Photo: Joel Danielson via Unsplash.

2. »Risikopersonen« ist ein irreführender Begriff. Die allermei­sten werden dabei sehr wahrscheinlich an Menschen denken, denen wegen einer Vorerkrankung ein schwerer COVID-Verlauf droht. Die schweren Verläufe sind aber, den in beeindruckender Geschwindkeit (auf der Basis jahrzehntelanger Forschung übrigens) entwickelten Impfstoffen sei Dank, für einen Großteil der Menschen kein Problem mehr.

Nach wie vor sehr problematisch allerdings sind langwierige Folgeerkrankungen wie zum Beispiel Long COVID. Dazu zählen auch all jene gehäuft auftretenden Erscheinungen wie Herz-Kreislauf­pro­bleme bis hin zu Infarkt und Schlaganfall, ein langfri­stig geschwächtes Immunsy­stem, Beeinträchtigungen der Hirnfunktion und zahlreiche andere, alle Organe betreffende COVID-Folgen. Die gemeinerweise sogar nach »leichten Verläufen« oder sogar symptomfreien Infektionen auftreten. Und bei jungen Leuten.

Die Autorin, Ex-taz- und SPIEGEL-Kolumni­stin Margarete Stokowski zum Beispiel ist schon weit über zwei Jahre Long-COVID-Patientin; Mitte März erinnerte sie sich anlässlich des »Long Covid Awareness Day« auf In­stagram an ihr Leben davor. Und in einem anderen Post vom 1. März schrieb sie: Manchmal fragen Leute, was ist, wenn ich trotz der Schwäche irgendwas mache? Kann sein dass es klappt, kann sein dass ich ohnmächtig werde. That’s Long COVID for you.

Und noch eines, was viele »Normalgesunde« nicht wissen: Jede Corona-Infektion addiert sich auf. Mit jedem SARS-CoV-2-Kontakt wird das Risiko größer, selbst als vorher vollkommen gesunde Person eine der vielen Folgeerkrankungen zu bekommen. Dazu gibt es reichlich Studien, die hier nicht alle verlinkt werden können; stellvertretend sei diese in nature veröffentlichte Untersuchung erwähnt. Auf der Seite LINKS dieses Blogs gibt es außerdem reichlich Recherchefutter.

Aber es scheint, als sei das Problem nicht auf COVID-19, ja, nicht einmal auf Gesundheit im allgemeinen beschränkt.

Egoismus ist offenbar hoffähig geworden. Hauptsache, mir und meiner Bubble geht es gut. Die anderen können sehen, wo sie bleiben.

In einem Flüchtlingslager. Auf den Wegen hängt Wäsche zum Trocknen, ein paar Menschen sind unterwegs. Alles wirkt provisorisch, aber trotzdem, als wären die Bewohner schon lange hier.
Photo: Julie Ricard via Unsplash.

Ein Beispiel dafür ist die sogenannte »Flüchtlingsdebatte«. Die genau genommen gar keine Debatte ist, denn allen momentan amtierenden Politikern ist gemeinsam, dass sie die Grenzen nur sehr, sehr bedingt öffnen möchten. Trotz »Fachkräftemangels«, trotz koninuierlichen Rückgangs der Geburtenrate (Deutschlands Bevölkerung hat zwar 2023 deutlich zugelegt, was aber hauptsächlich auf den Zuzug ukrainischer Menschen, die vor dem Angriffskrieg eines Imperiali­sten fliehen mussten, zurückzuführen ist).

Der Kapitalismus mit seiner massiven Propaganda für Konkurrenzdenken hat die den Menschen eigentlich eigene Fähigkeit zur Empathie und Solidarität gründlich ausgemerzt, zumindest in einem Großteil der Bevölkerung. Mit Zuckerbrot (Konsum) und Peitsche (Jobverlust).

Zum Abschluss noch mal kurz zurück zum Eingangsthema. Hier sind zwei dringende Linkempfehlungen zu Jessica Wildfires OK Doomer, englischsprachig: Mild at First: A Brief History of The 1918 Bird Flu Pandemic und We’re Cornered by Bird Flu.

Nach der Pandemie ist nämlich vor der Pandemie. (Und in Wirklichkeit auch gar nicht nach, siehe oben.)

Zahlen, bitte.

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Eine Person in Sandalen und knielanger weißer Hose, die nur bis zur Hüfte zu sehen ist, geht über eine Betonfläche, auf die mit weißer Farbe verschiedene Zahlen in Quadraten aufgemalt sind.
Bild: Markus Krisetya via Unsplash

In einem guten und lesenswerten aktuellen Interview in der ZEIT wird der Soziologe Linus Westheuser mit den Worten zitiert: Ein Bürgergeld, von dem man leben kann und das einen nicht zwingt, jeden Job annehmen zu müssen, verbessert die Verhandlungsposition der Arbeitenden, gerade in den unteren Einkommensgruppen. Es macht sie weniger erpressbar und zwingt die Arbeitgeber zu Kompromissen.

Wie wäre es denn statt »Bürgergeld« mit »Bedingungsloses Grundeinkommen« (BGE)?

Lässt sich nicht finanzieren?

Ha!

Wenn sämtliche rund rund 85 Millionen Einwohner*innen Deutschlands monatlich ein BGE von 1200 Euro bekämen, wären das im Jahr rund 1,2 Billionen.

Ähnlich viel, nämlich 1.161.499 Millionen Euro, zahlte der deutsche Staat im Jahr 2021 als Soziallei­stungen aus. Allerdings entfiel ein großer Teil davon auf den Bereich Krankheit, nämlich 395.290 Millionen. Diese rund 400 Milliarden fehlen also noch, um allen Einwohner*innen (einschließlich Babys, Kindern und Greis*innen, wohlgemerkt; jeder Person) ein Grundeinkommen bezahlen zu können.

Zusammen mit einer Reihe von Magazinen berichtete das ZDF im Dezember über eine Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit: »Deutschlands Milliardäre besitzen minde­stens 500 Milliarden Euro mehr als bisher angenommen.« Auch t-online war das eine Meldung wert: »Tatsächlich dürfte der Wert der deutschen Milliardenvermögen deshalb minde­stens etwa 1,4 Billionen Euro betragen – aber auch zwei Billionen erscheinen den Studienautoren nicht unplausibel.«

Eine Vermögen­steuer (die in Deutschland zuletzt 1997 eingenommen wurde) von 30 % auf die minde­stens 1,4 Billionen, über die schon allein die deutschen Milliardär*innen verfügen, könnte sich auf minde­stens 420 Milliarden summieren.

Et voilà.

Und da sind sämtliche Ideen anderer, viel klügerer Menschen noch gar nicht enthalten, wie die »negative Einkommen­steuer« oder Götz Werners Idee der Konsumbesteuerung.

tl;dr

Das Bedingungslose Grundeinkommen ist problemlos finanzierbar.


Abschließend sei hier zur besseren Veranschaulichung noch auf eine faszinierende Darstellung der Vermögensverhältnisse am Beispiel der USA hingewiesen, durchaus auf deutsche Verhältnisse übertragbar.

99 …

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Photo einer Ladenfassade im kalifornischen Jacksonville mit einem Schild, auf dem zu lesen ist: »Smithfield Fresh Pork Sausage, Pound 99 ¢«.
Bild: John Margolies via Library of Congress (gemeinfrei).

a)  
b)  
c)  

Auswertung

a) Stimmt schon, das ist einer der wenigen deutschen Popsongs, die wirklich international Wellen geschlagen haben.
War aber nicht gemeint.

b) Ist es nicht zu und zu seltsam, dass das menschliche Gehirn denkt, dass 0,99 signifikant weniger sei als 1,00 – ob Euro, Dollar oder Kilogramm?
Aber auch das war nicht gemeint.

Die richtige Antwort lautet:
c) — »Wir sind die 99 Prozent!«

Jede einzelne von uns hat es mit Entscheidungen, Äußerungen, Handlungen, Verweigerungen und vielem mehr in der Hand, die Geschicke der Welt – oder minde­stens des Landes, oder der Stadt, des Dorfes, der Nachbarschaft – zu beeinflussen und damit zu steuern.

Jede einzelne von uns gestaltet Politik bei den Wahlen, Wirtschaft mit Konsumverweigerung, Miteinander durch Kommunikation.

Jedes scheinbar noch so kleine Tun oder Lassen, Sagen oder Schweigen hat Auswirkungen.

Und zwar nicht im Sinne des »CO₂-Fußabdrucks«, dieses vom Öl-Multi BP massiv beworbenen und schon allein daher stark kritisierten, aber auch objektiv viel zu schwammigen Konzepts, mit dem Konzerne immer wieder versuchen, die Verantwortung für Umweltschäden von sich selbst auf die Verbraucher abzuwälzen.

Sondern im Sinne einer Wirkmächtigkeit, die jede einzelne von uns hat. Wer’s lieber neudeutsch hat: Es geht um Empowerment. Du kannst, ich kann, und zusammen können wir erst recht.

Und hier noch, nur am Rande zum Thema passend, eine umwerfende, zugleich faszinierende und erschreckende graphische Umsetzung der Wohlstandsverhältnisse auf der Welt, oder anders gesagt: dessen, was alles wir mit dem obszönen Reichtum des einen Prozents anstellen könnten (Spoiler: den größten Teil sämtlicher Probleme lösen): Wealth, shown to scale von Mark Korostoff. Viel Vergnügen beim Scrollen …

Du Arme*r?

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Ein Einzelbild aus einem Little-Nemo-Comic von Winsor McCay; der kleine Nemo ist offensichtlich gerade aus dem Bett gefallen. Er liegt auf seinen Schultern, seine Beine ragen nach oben, sein Gesichtsausdruck ist erschrocken. Die Zeichnung ist einfach, aber trotzdem sehr künstlerisch.
Bild: Winsor McCay via Wikipedia (gemeinfrei).

Alle Morgen wieder – aufwachen wie Winsor McCays Little Nemo; alle Morgen wieder – die Gedanken noch zerknautschter als das Kissen, noch zerzauselter als das Haupthaar; alle Morgen wieder – im Hinterkopf das nagende Halbbewusstsein: Das wird anstrengend heute, wie ge­stern auch schon, wie morgen auch wieder, wie immer.

Kein guter Tagesbeginn, stimmt’s?

Aber wenn auch vielleicht ein kleines bisschen übertrieben, ist es doch ungefähr das, was viele Menschen im wohlhabenden We­sten empfinden. Tag für Tag.

Nicht die tatsächlich Wohlhabenden natürlich, die es sich im mittleren und gehobenen Management, an der Firmenspitze oder gleich in der geerbten Villa gemütlich gemacht haben. Aber doch all die Millionen, die from paycheck to paycheck leben, wie es auf Englisch heißt, oder von der Hand in den Mund.

Eine Person ist von hinten zu sehen. Sie trägt einen Rucksack und Pla­stiktüten und geht allein durchs nächtliche Düsseldorf.
Bild: AR via Unsplash.

Jetzt schätzen Sie mal: Wie viele sind das wohl so, hier, im reichen Deutschland?

Na?

 
 
 

Im Jahr 2022 waren laut Erstergebnissen des Mikrozensus insgesamt 20,9 Prozent der Bevölkerung in Deutschland von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen, heißt es auf der Website von Statista.

20,9 %.

Ein Fünftel aller Deutschen, jede fünfte Person.

Zählen Sie mal durch im Supermarkt. Eins, zwei, drei, vier – und stop, diese Person ist arm, armutsgefährdet oder sozial ausgegrenzt, muss sich also überlegen, ob sie sich tatsächlich heute frisches Gemüse lei­sten kann, oder ob nicht der Rest Toastbrot auch irgendwie reicht.

Und weiter; sechs, sieben, acht, neun – da ist wieder eine. Auch dieses menschliche Wesen muss auf Teile seiner Menschenwürde verzichten, einfach nur deshalb, weil es mit dem Wohlstand der anderen nicht mithalten kann, aus welchen Gründen auch immer.

Bei Kindern und Jugendlichen müssen Sie übrigens nur bis vier zählen; von ihnen sind fast 25 % arm(utsgefährdet). Relativ gering ist der Unterschied zwischen Männern (20,1 %) und Frauen (21,6 %).

Noch zwei letzte Zahlen: Im vergangenen Jahr hatte Deutschland rund 84,5 Millionen Einwohner. Ein Fünftel davon sind 16,9 Millionen.

Eine Frau ist von der Seite zu sehen. Sie sieht nach unten und ihre Haare fallen ins Gesicht, so dass sie nicht zu erkennen ist. Die Szenerie ist dunkel und einsam.
Bild: Eric Ward via Unsplash.

Gut, dass im WERNERPRISE°-Blog (so gut wie) keine Schimpfwörter und Kraftausdrücke verwendet werden, sonst stünde hier gleich eine ganze Reihe von ihnen; viele direkt an den amtierenden Finanzmini­ster Christian Lindner gerichtet, der sich eines geschätzten Vermögens von 5,5 Millionen Euro und dazu eines monatlichen Mini­stergehalts von 20 000 Euro erfreut und allein im Jahr 2021 beim Finanzamt außerdem zusätzliche Nebeneinkünfte von 472 000 Euro angemeldet hat.

Wie heißt das Sprichwort doch so schön: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.

Kein Wunder, dass so jemand das Elterngeld kürzen will, die Zuschüsse zur gesetzlichen Renten- und Pflegeversicherung und auch die Mittel der Bundeszentrale für politische Bildung – aber weiterhin rund 65 Milliarden Euro pro Jahr für umwelt- und klimaschädliche Subventionen freigibt, wie das ZDF berichtete.

Kein Wunder auch, dass so jemand sich im staatsgläubigen Deutschland nicht wohl fühlt, wie er sich bei einer Rede vor dem In­stitut für Schweizer Wirtschaftspolitik beklagte. In Richtung seiner Gastgeber sagte der Multimillionär: (…) nachdem die politischen Realitäten mich zwingen, mit Sozialdemokraten und Grünen zu regieren, freue ich mich, die Luft der Freiheit zu atmen.

Ach wissen Sie, Herr Lindner, Sie sind herzlich eingeladen, in der so freiheitlichen Schweiz Ihr Domizil aufzuschlagen. Wir werden Sie hier nicht vermissen.

Zum Ausklang noch ein Link zur er­sten »Late Night« von Sarah Bosetti am 22.10., in der es ebenfalls um das Thema Armut ging. Besonders bemerkenswert war der Auftritt der #TaxMeNow-Mitbegründerin und Millionärin Marlene Engelhorn, die überzeugend darlegte, warum Spenden und andere Benefit-Aktionen seitens der Reichen keine Alternative zu öffentlichen Mitteln sind (weil sie der Willkür Tür und Tor öffnen) und warum sie will, dass sie und ihresgleichen endlich angemessen besteuert werden.

Bitte gucken. Die Aufzeichnung steht in der 3sat-Mediathek.

Letztes Jahr demon­strierten Engelhorn und ihre Mitstreiter beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Auch das liegt in der Schweiz. Na, Herr Lindner, nicht doch lieber ein Häuschen dort statt im undankbaren Deutschland?

 

Außen hui.

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Person, die sich selbst im Smartphone betrachtet. Das Gesicht ist allerdings nicht zu erkennen, weil mitten auf dem Smartphone-Bildschirm ein großes Kamera-Objektiv angebracht ist.
Bild: Aaron Weiss via Unsplash.

Es ist wahr, Menschen hatten schon immer das Bedürfnis, sich nach außen besser darzustellen, als es im Innern tatsächlich aussah. Was sollen denn die Nachbarn denken ist einer der vielen Klassiker aus der vordigitalen Zeit, zusammen mit Sonntagsgarderobe, Zehn Schmink-Tips, mit denen du jeden Boy rumkriegst und Männer weinen nicht.

Und es stimmt natürlich nicht, dass ganz plötzlich um 2007 herum Millionen Menschen zu Digitalnarzissten wurden, nur weil sie dank Steve Jobs und Mark Zuckerberg auf einmal in der Lage waren, ihre Selfies zu veritablen Hochglanz-Photos zurechtzufiltern und mit dem gesamten Universum zu teilen (oder immerhin den vierzehn Followern aus der Wilhelm-Raabe-Schule Lüneburg).

Aber was sicherlich zutrifft: Seither ist die Selbstdarstellung von Privatpersonen auf VIP-Maßstäbe angewachsen.

Eine Hand hält ein weißes Smartphone mit weißem Bildschirm, daneben eine weiße Tasse mit braunem Cappuccino, alles sehr schick.
Bild: Marianne Krohn via Unsplash.

Als hätten alle einen Schnellkurs zum Thema Sei deine eigene Marke belegt, werden selbst Katzenvideos, Urlaubsphotos und Kochrezepte als Personal Branding behandelt wie umsatzsteigernde Unternehmenskommunikation.

Auch wenn die wenigsten Menschen wohl tatsächlich Influencer, Vlogger, YouTuber werden wollen, ist doch das Bestreben, immer im besten Licht dazustehen, nicht nur auf die im ersten Absatz erwähnten menschlichen Eigenschaften zurückzuführen. Sondern auf das relative neue Phänomen der Instagramisierung, oder auf Englisch Instagramification – was fast noch schöner ist, denn darin steckt auch ein Wortspiel mit Instant Gratification, dem Prinzip der Sofort-Belohnung aus der Psychologie.

Das Problem ist bloß: Instant Gratification funktioniert nur bedingt – und macht schnell süchtig.

Denn Social Media erfüllen nur scheinbar ein Bedürfnis. Das Bedürfnis, geliebt, oder zumindest gemocht, oder wenigstens gehört oder gesehen zu werden. Und zunächst fühlt es sich ja auch irgendwie total gut an, wenn sich Likes, Herzchen, Sternchen, Daumen und »Geteilt«-Zähler unter dem Beitrag ansammeln.

Aber dann … dann kommt uns unsere Hirnchemie in die Quere.

Jedes positive Signal, jedes ❤️, jedes 🔥, 😍, 👍, 💯 und 🤗 ist wie eine kleine Umarmung. Der Dopaminspiegel steigt.

Und je länger wir uns dem aussetzen, je länger andauernd der Dopaminspiegel hochgeregelt wird, desto mehr stellt sich unser Gehirn um. So dass das »High« schließlich zum »neuen Normal« wird. Und das »alte Normal« zu Depressionen führt. In dieser Hinsicht wirkt sich die Nutzung von Social Media auf unser Gehirn ganz genau so aus wie Drogenkonsum, von Alkohol über Marihuana, MDMA und Kokain bis Heroin.

Die Psychiatrie-Professorin Anna Lembke aus Stanford erklärt das in zwei gleichermaßen informativen wie unterhaltsamen Videos sehr viel besser und detaillierter, allerdings auf Englisch:

  1. In einem Video-Interview¹ mit the weekend UNIVERSITY, und
  2. bei einem Vortrag² für die Standford Alumni.
Mehrere Geschäftsmänner in Anzügen, jeder mit einem Smartphone in der Hand, alle offensichtlich sehr mit den Geräten beschäftigt.
Bild: Camilo Jimenez via Unsplash.

Auf der Website der österreichischen Fake-News-Wächter Mimikama (offiziell: Verein mit dem Ziel der Aufklärung über Internetmissbrauch) ist aktuell ein Beitrag zu dem Thema erschienen, in der es heißt: Ohne es zu merken, sind wir in ständiger Alarmbereitschaft, immer auf der Suche nach der nächsten Information, dem nächsten Like, der nächsten Nachricht.

Wie Heroinsüchtige auf der Jagd nach dem nächsten Schuss.

Hinzu kommt die Art, wie die allermeisten Menschen ihre Insta-, TikTok-, Snapchat-, Facebook- (die älteren), Twitter- (die unbeirrbaren) und was sonst noch alles für Kanäle nutzen: Mit dem Smartphone. Das oft, meistens sogar, ausgesprochen handschmeichlerisch gestaltet ist. Berührung ist eine der wichtigsten beziehungsbildenden Maßnahmen, wir streicheln, was oder wen wir gern mögen, und umgekehrt mögen wir gern, was oder wen wir ständig streicheln.

Erst recht, wenn er, sie oder es reagiert – und das tun Smartphones mit einer leichten Vibration, wenn sie betastet werden. Ein kleines digitales Wesen (wer erinnert sich noch ans elendige Tamagotchi?) in der Hosen-, Jacken- oder Handtasche, meistens aber in der Hand; über zweieinhalbtausend mal berühren Menschen ihr Phone täglich, zeigten im vergangenen Jahr Studien aus den USA und Belgien.

Eine aktuelle Untersuchung aus den USA hat ergeben, dass Amerikaner derzeit rund viereinhalb Stunden täglich dem Handy widmen. Vor zwei Jahren waren es unter Deutschen immerhin auch schon fast dreieinhalb, und noch ein Jahr früher meldete ZDNet: 89 % der Deutschen besitzen ein Smartphone, 94 % von ihnen verwenden es täglich – und 31 % verspüren sogar einen Zwang, ständig auf ihr Smartphone zu schauen.

Weil ihr Belohnungssystem rebelliert und Dopamin-Nachschub fordert.

Weil sie hoffen, dass jemand oder etwas ihnen gerade ein bisschen Liebe, oder zumindest Zuneigung, oder wenigstens Anerkennung geschickt hat.

Immerhin, der Anteil jener Konsumenten, die den Umfang ihrer Smartphone-Nutzung kritisch sehen, ist deutlich gestiegen, heißt es weiter in der damaligen ZDNet-Meldung. Und zunehmend werden negative Begleiterscheinungen wahrgenommen, von Unkonzentriertheit über spätes Einschlafen bis hin zu Kopfschmerzen.

Aber ganz ehrlich: Momentan sieht es noch nicht so aus, als wollten die Betroffenen groß etwas ändern. Und das, obwohl die ständige Bewertung durch andere und der Vergleich mit dem scheinbar perfekten Leben anderer zu erhöhtem Stress führen kann, wie es in dem oben erwähnten Mimikama-Artikel heißt.

Vielleicht sollten sie sich klar machen, was Professor Andrew Lepp schon 2016 herausgefunden hat: Smartphone-Nutzung [ist] schlecht für die emotionale Nähe.

Lepp erwähnt ein Phänomen, was Wissenschaftler neuerdings problematische Handy-Nutzung nennen. Leute mit solch einer problematischen Nutzung sind jene, die das Handy in Situationen benutzen, in denen man das eigentlich nicht tun sollte. Sie verspüren einen Zwang, das Handy zu nutzen, das ist fast schon Suchtverhalten. Seine Untersuchung hat festgestellt: Und diese Art der Nutzung hat einen negativen Zusammenhang mit dem Gefühl der emotionalen Nähe.

Menschen, die einen Hang hatten, das Handy problematisch zu nutzen, die fühlten sich auch nicht vertraut mit Eltern oder Freunden.

Zwei Bisons inmitten von Autos auf einer Straße, die Köpfe kampfbereit gegeneinander gesenkt.
Bild: Goutham Ganesh Sivanandam via Unsplash.

Je mehr Menschen zu dieser problematischen Nutzung neigen (und, siehe oben, das scheint offensichtlich zuzunehmen), desto schwieriger wird es also mit dem Miteinander.

Gut möglich, dass aus dem Gemenge aus Sucht, Selbstfixierung und Abkehr vom gemeinsamen Austausch das geworden ist, was wir inzwischen als eine deutliche Verhärtung der Fronten zwischen Menschen erleben, als ein Entweder bist du für mich, oder du bist gegen mich! Dazwischen gibt’s keine Grautöne mehr! Das war hier ja neulich schon mal Thema.

Vielleicht ist es jetzt – ja, in genau diesem Moment! – an der Zeit, das Smartphone wegzulegen und dem Rat des Professors zu folgen, guck den wichtigen Menschen in deinem Leben in die Augen, sprich mit ihnen ohne Bildschirm zwischen euch.

Oder sich eine Stunde Zeit zu nehmen und in aller Ruhe der Professorin für Religionswissenschaft Anne Koch und Wilhelm Schmid, »Philosoph der Lebenskunst«, zuzuhören, die im SRF mit Ahmad Milad Karimi über Berührungen im Alltäglichen wie auch im Metaphysischen sprechen. Schmid zum Beispiel sagt: Das körperliche Sein erfahre ich am instensivsten durch Berührung.

Zwischen Menschen, wohlgemerkt.

¹ ² Beide Videos stammen von YouTube, werden hier aber über Invidious mit dem URL-Parameter local=true verlinkt, was bedeutet, dass Google und YouTube Sie nicht tracken können.
Da YouTube häufig versucht, Invidious zu blockieren, funktionieren die Links manchmal nicht; dann können Sie eine andere Invidious-Instanz versuchen (für das erste Video hier: redirect.invidious.io/watch?v=t4iGCgIB0bg&local=true, für das zweite hier: redirect.invidious.io/watch?v=n2u8Z1HeKD8&local=true.

O Tempora.

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Kopiezeichnung einer Büste von Cicero aus dem Jahr 1885.
Bild: Wikipedia (gemeinfrei).

In diesem Blog werden gelegentlich auch Beiträge erscheinen, die nichts mit dem Beruf des Texters und/oder Webdesigners zu tun haben.

Einen Anfang macht dieser.


Seit dem Jahr 70 v. Chr., in dem der römische Politiker, Anwalt, Schriftsteller und Philosoph Cicero ihn zum ersten Mal verwendete, steht der Ausruf o tempora, o mores! für die Verzweiflung angesichts rapide um sich greifenden Sitten- und Moralverfalls.

Dass seitdem knapp 21 Jahrhunderte vergangen sind, ändert einerseits nichts an der Relevanz des Zitats, und andererseits ist seine Aktualität vielleicht sogar noch gestiegen.

Es begann mit der massenhaften Verbreitung von Smartphones und dem parallel verlaufenden Run auf Soziale Medien ab 2007. Schnell kamen schon damals Befürchtungen auf, die vermeintliche Anonymität im Netz verführe dazu, alle Höflichkeit (und das, was man im Web 1.0 »Netiquette« nannte) fahren zu lassen und schlechte Laune, Frustration und Hass auf andere ungefiltert in die Tastatur zu hacken.

Mit dem Beginn der COVID-19-Pandemie hat die ungezügelte Lust am (Be-)Schimpfen massiv zugenommen, aber noch ein weiteres Phänomen trat an ihre Seite: Die Entweder-Oderisierung des Diskurses.

Frei nach dem angeblich auf Jesus von Nazareth zurückgehenden Satz wer nicht für mich ist, ist gegen mich werden in den vergangenen Jahren immer massivere Fronten aufgebaut. Als wäre die Schraube einige Umdrehungen weiter angezogen, in Richtung der Sure 9:5 des Korans: (…) tötet die Götzendiener, wo immer ihr sie findet, ergreift sie, belagert sie und lauert ihnen aus jedem Hinterhalt auf!

Das riecht arg schweflig nach Mittelalter.

Als hätten wir Menschen in einem gewaltigen Satz rückwärts das Zeitalter der Aufklärung einfach übersprungen.

An dieser Stelle sei ein kurzer Blick nach oben an den Anfang dieser Seite empfohlen, genauer: das Irving-Zitat. Nicht im entferntesten intellektuell sei alles, was mit (religiösem oder sonstigem) Glauben zu tun hat. (Deutsche lesen in den Begriff »intellektuell« gern die sogenannte »höhere Bildung« hinein, aber im Englischen bedeutet es einfach hat mit dem Verstand zu tun).

Menschen handeln und äußern sich dieser Tage immer weniger verstandes-, sondern immer mehr instinktgesteuert, ausgehend von persönlichen Meinungen und Überzeugungen – komme, welch’ anderslautende wissenschaftliche Erkenntnis wolle. Und die »Götzendiener« aus dem Koran-Zitat oben – das sind alle, die anders glauben, fühlen, denken. Oder sind.

Two hands holding one another.
Bild: Ave Calvar via Unsplash.

Es gibt kaum noch Grautöne; die Dinge haben entweder weiß, oder aber schwarz zu sein. Dass es möglich ist, einen Aspekt einer Sache gutzuheißen und einen anderen als falsch zu erachten, dass menschliche Entscheidungen und Handlungen von zahlreichen, unterschiedlichsten Faktoren beeinflusst werden, die sich sogar gegenseitig widersprechen mögen, das scheint nur noch den wenigsten klar zu sein.

Wenn aber etwas für das Überleben der Demokratie absolut unerlässlich ist, dann eben gerade die Fähigkeit zum Sowohl-als-auch, zum Dialog, zum Kompromiss.

Zum Miteinander.

Und die Erkenntnis, dass die eigene Freiheit nur soweit reichen kann, wie sie die Freiheit anderer nicht beschneidet, oder gar erstickt.

Ja, das geht auch – und ganz besonders! – an euch Milliardäre, Millionäre, Erben, Unternehmenslenker, Lobbyisten … kurz: Kapitalisten.

 

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